Eine angesehene Familie
verfluchte Gift, und ich weiß auch, daß man ganz stark sein muß, um nicht in den Sog hineingerissen zu werden. Aber ich kenne jetzt auch die Motive, ich weiß, warum Freddy ein Drücker ist. Ich will versuchen, ihn davon abzubringen. Das wird lange dauern.
Am Abend waren wir alle wieder beisammen. Mama erzählte von einer Pelzmodenschau und einem tollen Mantel, den sie dort gesehen hat. Ein Schneeleopard. Irre teuer. Soll nur ein paar Mäntel davon geben. Und was sagt Papa darauf? »Erkundige dich mal nach dem Preis.«
Das sagt er so einfach daher. Papa, der eine Geliebte hat! Er kriegt es fertig und kauft Mama diesen Schneeleoparden! Und sie glaubt, den besten Ehemann der Welt zu haben, den liebsten, treuesten, ehrlichsten.
O Gott, wie sind sie alle verlogen! Wie heucheln sie alle! Wie gemein ist das alles. Freddy sieht das richtig. Er sagt: »Die beschmieren sich gegenseitig mit Scheiße und denken, es sei Sonnenöl.«
Ist das die Welt, in die ich hineinwachsen soll? Ich werde jetzt mehr die Augen offenhalten. Ich werde mir alles genauer ansehen, auch hinter den Fassaden. Ich war doch bisher eine Doofe!
Übermorgen sehe ich Freddy wieder. Ich werde zu ihm in die Disko gehen. Und ich werde lügen wie die Erwachsenen. Ich werde sagen: »Ich gehe zu Trudi!« Das glauben sie mir, sie kennen ja Trudi. Sie werden es glauben, wie Mama glaubt, daß Papa spätabends noch mit Bauherren sprechen muß.
Mein Kopf brummt noch immer. Ich werde mich nie an das Zeug gewöhnen können. Nie! Ich bin kein Typ, aus dem man einen Drücker machen kann.
Es geschieht in Frankfurt täglich ungezählte Male, daß zwei Autos aneinandergeraten. Meistens sind es kleine Blechschäden, über die man nicht lange debattiert; man tauscht die Adressen aus, und die Werkstattrechnung zahlt die Versicherung.
Auch Maria Barrenberg erlebte nun, ohne ihr Zutun, wie ein Kotflügel verbeult werden kann, wenn man vorschriftsmäßig vor einer Parkuhr parkt. Ein großer weißer Wagen, der in die Lücke neben ihr einfahren wollte, verrechnete sich mit dem Schwenkraum und rollte sacht, aber doch wuchtig genug, gegen ihren kleinen Honda. Der Fahrer der Luxuskarosse bremste zwar sofort und hieb hörbar den Rückwärtsgang hinein, aber das Unglück war schon passiert. Erstarrt stand Maria Barrenberg neben ihrem Auto und wagte nicht daran zu denken, was geschehen wäre, wenn sie gerade auf der anderen Seite gestanden hätte.
Der Fahrer riß die Tür auf und sprang auf die Straße. Er war sichtbar entsetzt, kontrollierte angesichts der eleganten schönen Dame den Sitz seiner Krawatte und rannte dann um sein Fahrzeug herum.
»Es ist meine Schuld!« rief er. »Bitte, regen Sie sich nicht auf, gnädige Frau. Es war allein meine Schuld.«
»Natürlich. Ich stehe ja friedlich vor der Parkuhr.«
»Ich habe zu weit ausgeholt.« Er verbeugte sich, nachdem er einen begeisterten Blick auf Maria abgeschossen hatte. Ein attraktiver Mann. Groß, schwarzhaarig, von südländischem Typus, Maßanzug, diskret gemustertes Hemd, einfarbiger Seidenschlips, ein Hauch von herbem Parfüm. »Sie sehen mich untröstlich. Wenn Sie mir nur nicht allzusehr böse sind … Ich heiße Petro Makaroff. Petro mit t, nicht mit d …«
»Ist das wichtig?«
»Sehr!« Makaroff lächelte mit Charme. »Ich bin Bulgare. In Bulgarien schreibt man Petro mit t.«
»Sie sprechen hervorragend deutsch.«
»Ich kam mit achtzehn nach Heidelberg, habe dort studiert und bin in diesem Land hängengeblieben. Ich liebe Deutschland.«
»Und verbeulen vor lauter Begeisterung fremde Autos?«
»Ich ersetze den Schaden in voller Höhe, gnädige Frau. Wenn Sie es verlangen, kaufe ich Ihnen einen neuen Wagen …«
»Um Gottes willen! Wegen einer Beule am Kotflügel!« Maria Barrenberg lachte. Makaroff gefiel ihr. Nicht, daß sie etwas anderes empfand als Neugier, aber gerade diese Neugier war es, die sie daran hinderte, nüchtern nach seiner Versicherung zu fragen, ihn ein kurzes Schuldbekenntnis aufschreiben zu lassen und dann ihre geplanten Einkäufe zu unternehmen. Makaroff erinnerte sie plötzlich an ein Erlebnis, das weit, weit zurücklag. In ihren Mädchenjahren hatte sie, als jüngste Pianistin Deutschlands, ein Gastspiel in Beirut gegeben. Beirut, das Paris des vorderen Orients. Drei Tage lang hatte sie morgens und mittags einen Strauß von hundert tiefroten Rosen bekommen, ohne Karte, ohne den Namen des Absenders – bis zu ihrer Weiterreise nach Kairo. An jenem Tag hatte ein junger Mann in einem
Weitere Kostenlose Bücher