Eine angesehene Familie
weißen Anzug in der Hotelhalle auf sie gewartet und ihr zum Abschied noch einmal hundert Rosen überreicht. »Man kann Sterne nur bewundern«, hatte er in elegantem Französisch gesagt. »Der Mensch ist zu klein, um sie vom Himmel zu holen.«
Er hatte ausgesehen wie Makaroff. Fast so. Allerdings jünger, schlanker, schüchterner.
»Ich brauche von Ihnen die Erklärung, daß Sie schuldig sind«, sagte Maria Barrenberg. »Für die Versicherung.«
»Hier auf der Straße?«
»Ich habe wenig Zeit.«
»Nicht ein paar Minuten für eine Tasse Kaffee? Sie haben sich aufgeregt, gnädige Frau. Nein, leugnen Sie nicht! Das Auto ist der Deutschen liebstes Kind; wenn es einen Kratzer hat, möchten sie am liebsten Nachtwache halten wie bei einem Kranken. Sie sollten sich bei einem Kaffee erholen. Das Wetter ist so schön, die Caféterrasse des Frankfurter Hofs ist geöffnet. Sagen Sie nicht Nein, wenn ich Sie untertänigst einlade …«
Er sagte tatsächlich ›untertänigst‹, wohl ein Überbleibsel der galanten Wiener Schule, die vor dem Ersten Weltkrieg auch den Balkan beherrschte. Es tat gut, wieder so etwas zu hören. Eduard kannte solche Vokabeln nicht. Er sprach, obgleich er Akademiker war, ein Bauerndeutsch, das er ›lutherisch‹ nannte. Eduard hätte in ähnlicher Situation gesagt: »Nur keine Aufregung, es ist passiert, ich kann die Beule nicht wieder herausblasen. Trinken wir eine Tasse Kaffee. Schätze den Schaden auf höchstens 150 Mark, mit Lackieren. Sowas geht die Versicherung gar nichts an, von wegen Schadenbonus! Das schaukeln wir unter uns …«
Untertänigst wäre bei ihm unmöglich. Er fühlte sich keinem Untertan.
»Nur eine Tasse!« sagte Maria Barrenberg zögernd. »Der Vormittag ist kurz.«
Makaroff strahlte über das ganze Gesicht, als sei er dem großen Glück begegnet. »Ich werde diesen Vormittag in meiner Erinnerung vergolden. Man sollte dem Auto dankbar sein, daß es die Lücke nicht gefunden hat.«
Es wurde eine interessante Stunde.
Makaroff und Maria Barrenberg tranken außer ihrem Kaffee noch einen Kognak, und Makaroff erzählte von seinen Reisen in alle Welt. Er war Exportkaufmann; über die Branche äußerte er sich nicht, aber Maria war das auch gleichgültig. Sie lachte über Makaroffs Erlebnisse in der Südsee und auf Neu-Guinea und lauschte der spannenden Schilderung eines Taifuns, den Makaroff im Chinesischen Meer überlebt hatte. Dann schrieb er sein ›Schuldbekenntnis‹ auf eigenwillige Art. Er formulierte es so: »Ich, Petro Makaroff, Versicherungsnummer H 382 719 000, bekenne mich schuldig, am 20. dieses Monats der bezauberndsten Frau, die ich je gesehen habe, eine Beule in den linken Kotflügel ihres Wagens gefahren zu haben. Ich danke dem Schicksal dafür.«
»Das kann ich unmöglich meiner Versicherung vorlegen«, sagte Maria Barrenberg und spürte, wie sie rot wurde. Das ärgerte sie maßlos. Wie ein unreifes Mädchen, nach dreiundzwanzig Jahren Ehe, nach all den Erfahrungen, die man in einem fünfundvierzigjährigen Leben macht. Da wird man noch rot. »Schreiben Sie eine vernünftige Erklärung!«
Makaroff hob theatralisch beide Hände. »Die oder keine! Bei Erklärungen lügt man nicht. Und das ist die Wahrheit!«
»Bei der Versicherung werden sie lachen.«
»Man wird mich beneiden.« Makaroff legte seine Hand auf das Papier. »Aber ich hätte einen anderen Vorschlag: Sie lassen den Schaden reparieren und geben mir die Werkstattrechnung. Dann kann ich Sie wiedersehen.«
Maria Barrenberg lächelte nach innen. Wenn Eduard das hören könnte! Seine Frau wird um ein heimliches Rendezvous gebeten. Ein wirklich eindrucksvoller Mann bemüht sich um sie, die Zeit scheint zurückgedreht zu sein, die Jahre fallen ab wie welke Blätter, – was ein Ehemann nicht mehr sieht, bestätigt plötzlich ein Fremder: Man ist begehrenswert geblieben! Sie zuckte bei diesem verwerflichen Gedanken zurück, verwerflich deshalb, weil Eduard, der verbissene Arbeiter, seine Wirkung auf das andere Geschlecht bestimmt noch nicht wieder getestet hatte, sondern nur von Termin zu Termin hetzte. Ein leichter Schuldkomplex baute sich in Maria auf, so schön es auch war, Makaroffs werben zu fühlen: fast wie ein sanftes Streicheln …
Sie schüttelte den Kopf, zog den Zettel unter seiner Hand weg und sagte: »Die Kaffeestunde ist um. Ich muß gehen. Vielleicht reiche ich Ihr Bekenntnis doch an die Versicherung weiter.«
»Und wenn ich Sie bitte, mir die Chance eines Wiedersehens zu geben?«
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