Eine angesehene Familie
sah, genügte ihm. Er warf sich herum, rannte zu seinem Fahrrad, schwang sich in den Sattel und trampelte wie wild davon. In einem Tümpel an der Straße wusch er sich die Hände, spülte sein Klappmesser, putzte den Lenker ab und fuhr dann weiter, nach Frankfurt hinein.
Noch bevor er die Innenstadt erreichte, ließ die Wirkung der Dope nach. Er kam wieder auf Turkey, so wild und tierisch, daß er auf seinem Fahrrad zitterte und mit den Zähnen klapperte, und als er die Hauptwache erreichte und Hanno schon auf dem Männerstrich stehen sah, begann er haltlos zu weinen. Er lief heulend zu den anderen, kauerte sich in eine Ecke der Fußgängerunterführung und biß in seinen Ärmel. Beppo, ein italienischer Stadtstreicher, befreite ihn vom Schlimmsten, indem er ihn an einer Flasche Azeton schnüffeln ließ. Freddy saugte die Azetonwolke in sich hinein, umarmte Beppo, gab ihm einen Kuß und ging dann auf die Suche nach einem Dealer, der ihm für die letzten 30 Mark, die er besaß, einen Viertelschuß abgeben würde, 30prozentigen, unreinen Stoff, gemischt mit allem möglichen Sauzeug. Aber er brauchte den Druck, um bis zum Abend auf den Beinen zu bleiben.
Im ›Number Sex‹ war wie immer Hochstimmung, als Monika gegen 23 Uhr erschien. Freddy, der gerade seine erste große Nummer abgezogen hatte, umklammerte die Trompete, als müsse er sich an ihr festhalten. Monika war gekommen! Sie wußte also noch nichts von dem Mord an Holger Mahlert. Sie kam zu ihm, in schwarzen Satinhosen und einer roten Satinbluse, ein rotes Band im Haar, ganz cool, ganz Disko-Baby. Sie mußte die Klamotten heute gekauft haben und trug sie nun zur Premiere. Sieh dir das an, sollte das heißen. Ich gehöre zu dir. Ich komme zu dir in die Disko-Welt. Alle sollen es sehen!
Freddy war gerührt und blies seine zweite Nummer wie ein Gott, der mit seiner Trompete eine neue Welt erschaffen will. Es war noch ein Gast gekommen, den man noch nie im ›Number Sex‹ gesehen hatte, und der dem Alter nach auch gar nicht hereinpaßte, aber da er die Mädchen in Ruhe ließ, vergnügt auf seinem Barhocker saß und mit Wohlgefallen den zuckenden Leibern auf der Tanzfläche zuschaute, tolerierte man den ›Opa‹; einige blinzelten ihm sogar zu, wenn Mädchen mit wippenden Brüsten und natürlich ohne BH unter den glänzenden Diskoblusen an ihm vorbeigingen und Opa ihnen mit unverkennbarem Interesse nachblickte.
Petrescu war lange nicht mehr in solchen Lokalen gewesen. Er hatte nie etwas für diese superlaute Superschau übrig gehabt und fragte sich manchmal, was die jungen Leute eigentlich davon hatten, sich zu schwitzenden Fleischklumpen zu verwandeln, nach einem kaum noch als Musik zu definierenden Lärm herumzuzucken und ihre Körper bis zur Ekstase zu verrenken. Außerdem verbot ihm sein Geschäft, sich in solchen Lokalen sehen zu lassen. Nicht, weil man ihn dort erkennen konnte, sondern weil es peinlich wäre, wenn er in eine Polizeikontrolle geriete. Seine Papiere waren zwar astrein, sein Geschäft war ordnungsgemäß angemeldet, er zahlte genau und pünktlich seine Steuern, seine Buchhaltung war überkorrekt, es gab nichts, wodurch er hätte auffallen können. Trotzdem vermied er es, ›an die Front‹ zu gehen. Wie alle großen Feldherren, operierte er aus der Tiefe des Raumes von einem sicheren Standort aus, der einen weiten Überblick gewährte. Das war bei seinem Job die Vorbedingung: der Blick über das Ganze, die fruchtbare Distanz.
Heute hatte Petrescu dieses Prinzip durchbrochen. Er bereute es nicht; alles lief so ab, wie er es sich gewünscht hatte. Monika Barrenberg war gekommen, Freddy balancierte am Rande eines Turkeys – es würde kaum eine Stunde dauern, dann mußte er wieder auf die Jagd nach einem neuen Druck gehen. Petrescu erkannte es an seinen Augen: die Lider begannen zu flattern, die Hände zitterten, und obwohl Freddy himmlisch blies, sah man ihm jetzt doch an, wie sehr er sich anstrengen mußte, um diese Nummer noch durchzuhalten.
Um Freddy auf sich aufmerksam zu machen, hatte er einen der Jungen, die als Saalordner herumstanden, um beginnende Disharmonien zwischen den Gästen sofort im Keim zu ersticken, mit einem Zettel zu Freddy geschickt. »Wir könnten in der Pause miteinander reden«, hatte Petrescu geschrieben. Mehr nicht. Freddy hatte den Zettel gelesen, den Jungen angeblickt, der zeigte zur Bar, Freddy zerknüllte den Zettel und schnippte ihn weg.
Petrescu hob die rechte Hand, spreizte Zeigefinger und Mittelfinger zum
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