Eine angesehene Familie
Ahrendsen.
In Florenz mußte es wirklich trostlos sein. Eduard Barrenberg rief täglich mindestens zweimal an. Vor Bettina bedauerte er, daß sie nicht bei ihm war, schilderte sein Schlafzimmer mit dem breiten Bett und erzählte ihr von seinen unerfüllten Wünschen. Bei Maria beklagte er sich über das Tagungsprogramm, nannte die Planer einer auf EG-Basis einheitlichen Bauordnung blinde Traumtänzer und versprach, zu den nächsten Kongressen, ganz gleich wo sie tagen würden, Maria mitzunehmen; eine Einladung, die Maria mit einem milden Lächeln anhörte, sie wußte, daß Eduard nie mehr darauf zurückkommen würde.
Einmal setzte sie zu einer Beichte an, aber schon im Ansatz erkannte sie, daß ein Bekenntnis per Telefon unmöglich war. Eduard reagierte mit einer Frage, die alles weitere abschnitt.
Sie sagte: »Es ist schwer, Eduard, aber ich muß dir etwas gestehen …«
Eduard unterbrach sie: »Ist Ljuba beim ›Sterbenden Schwan‹ hingefallen? Sie sollte ihn nicht mehr tanzen. Der ›Nußknacker‹ wäre in ihrem Alter besser.«
Maria gab es auf.
So oft sie konnte, verließ sie das Haus und lief ziellos durch die Stadt, aus Angst, Makaroff könne anrufen. Wie es weitergehen sollte, wußte sie nicht, es gab wohl keinen Ausweg … Makaroff besaß die widerlichen Fotos, mit denen er sie fest in der Hand hatte. Sie gab sich keinen Illusionen hin; es hatte auch keinen Sinn, auf die Herausgabe der Negative zu hoffen oder sich einzureden, alles würde sich von selbst lösen. Makaroff verlangte sie. Er konnte mit diesen Fotos einen Besitzanspruch stellen. Wie die Bilder entstanden waren, das war, ebenso wie alle Erklärungen und Beteuerungen, zunächst unwichtig. Eduard würde nie verstehen, weshalb sie sich überhaupt mit Makaroff im Café getroffen hatte, und schon gar nicht, daß sie bereit gewesen war, mit ihm nach Bad Homburg zu fahren. Sie selber hatte ja dafür kaum eine Erklärung. Aber aus dem ersten Nachgeben war alles weitere erwachsen. Noch immer überlief sie ein eiskaltes Entsetzen, wenn sie an ihr Erwachen in dem Hotelzimmer dachte.
Monika sah sie nicht oft. Das Kind hatte so viel mit den Vorbereitungen zum Abitur zu tun, daß Maria sie so wenig wie möglich stören wollte. Vor kurzem hatten einige Mädchen eine Arbeitsgemeinschaft gebildet, um miteinander zu lernen und sich gegenseitig abzuhören. Maria fand das großartig. »Du siehst blaß aus, Spätzchen«, sagte sie. »Hast ganz verquollene Augen. Wie lange arbeitest du nachts?«
»Es wird immer spät, Mutti!« hatte Monika geantwortet. »Aber es muß sein. Ohne anständiges Abitur hast du keine Chance, in den nächsten drei Jahren zu studieren. Dieses Punktsystem ist mörderisch. Wenn das früher so gewesen wäre, hätte es Deutschlands große Männer nie gegeben: keinen Bismarck, keinen Sauerbruch, Einstein, Thomas Mann oder Nietzsche. Heute züchten sie auf den Schulen nur Streber, bestimmt keine tüchtigen Menschen, von Genies ganz zu schweigen. Man muß eben mitmachen, Mutti …«
Auch als Monika an diesem Morgen nach Hause kam, hörte das niemand. Sie stieg mit merkwürdig steifen Beinen die Treppe hinauf, duschte sich und bekam danach rasenden Durst. Als sie Mineralwasser trank, wurde ihr speiübel, ihr Magen zuckte und verkrampfte sich, sie setzte sich auf die Bettkante und drückte beide Hände auf den Leib. Minuten später erst war sie fähig, aufzustehen. Ihr Gaumen war trocken, in ihrem Kopf kribbelte es, als ziehe eine Armee von Ameisen über ihre Nerven. Auf Zehenspitzen schlich sie die Treppe hinunter, klappte Eduards Hausbar auf und goß sich ein großes Glas mit Kognak voll. Sie nahm es mit nach oben, dort trank sie mit einer unbezähmbaren Gier die Hälfte in einem Zug.
Merkwürdigerweise fühlte sie sich danach ernüchtert. Sie setzte sich aufs Bett. Freddy fiel ihr ein, der tote Freddy, der bleich, aber mit einem glücklich lächelnden Gesicht auf der Couch lag. Freddy, den sie dann in den verrotteten Keller getragen und sich seiner entledigt hatten, als wäre er Abfall, Müll. Freddy, der von der Nadel wegwollte und in der Stunde seines Entschlusses an der Nadel starb. Freddy tot. War das zu begreifen?
Sie begann zu weinen, ließ sich auf das Bett fallen und stürzte damit in das Gefühl einer Ausweglosigkeit, das von Minute zu Minute unerträglicher wurde. Die Welt schien rundum vergittert, die Luft zum Atmen wurde immer dünner, das Angstgefühl steigerte sich bis zur Panik. Ich breche auseinander, dachte sie. Helft
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