Eine angesehene Familie
Schlucken seinen Kognak trank, überkam ihn die sanfte Wehmut eines Mannes, der in seinem Leben das Höchste erreicht hat.
Am Nachmittag stellte sich Fieber ein. Nicht sehr hoch, aber immerhin war Holger Mahlerts Kopf heiß, die Wunde bekam gerötete Ränder und war äußerst druckempfindlich. Peter Roßkauf injizierte noch einmal hohe Dosen Antibiotika und nahm ihm Blut ab, um es im Labor gründlich untersuchen zu lassen.
»Man konnte nicht erwarten, daß dein Messerstecher die Klinge zuvor sterilisierte«, sagte Roßkauf sarkastisch. »Ich habe damit gerechnet, daß es nicht ganz so komplikationslos abgeht. Junge, das muß ich dir sagen: Wenn du anfängst, septisch zu werden, kommst du in die Klinik!«
»Auf gar keinen Fall!« Mahlert versuchte sich aufzurichten, aber seine Schwäche war so groß, daß er sofort wieder zurückfiel. Der Blutverlust war noch nicht kompensiert worden, trotz der beiden Transfusionen von Kochsalzlösung. »Ich fühle mich stark genug.«
»Das sieht man.«
»Ich will nach Hause!«
»Um damit den ganzen Behördenapparat in Bewegung zu setzen! Du wirst deinem alten Herrn nicht einreden können, das sei ein Wespenstich. Es hat mich schon Mühe genug gekostet, ihm beizubringen, daß du mit vier anderen Kommilitonen nach Köln zu einer gewaltigen Corps-Kneipe gefahren bist. ›Wieso?‹ hat dein Herr Papa gefragt, ›Holger hat doch sein Band und die Mütze hiergelassen! Was sind denn das für neue Kneipsitten?‹«
»Eine Klinik kommt nicht in Frage.«
»Ärzte haben Schweigepflicht, das weißt du!«
»Darum geht es nicht.« Mahlert starrte an die Zimmerdecke. »Mein – Gegner lebt nicht mehr.«
Peter Roßkauf schluckte und setzte sich auf das Bett. »Sag das noch mal!«
»Er ist tot!«
»Holger! Bist du wahnsinnig? Weißt du, was du getan hast?! Wenn das herauskommt …«
»Man hat die Leiche bereits gefunden.«
»Du lieber Himmel! – Hast du – Spuren hinterlassen?«
»Nein!«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher. Ich habe ihn doch nicht umgebracht. Peter, du bist ein liebes, treues, aber großes Rindvieh. Traust du mir so etwas zu?«
»Du hast selbst gesagt …«
»Er ist tot, habe ich gesagt. Es gibt auch andere Todesarten als Mord oder Totschlag. Er hat sich selbst umgebracht.«
»Nachdem er dich …«
»Logisch.« Mahlert lächelte spöttisch. »Ein Toter kann nicht mehr mit einem Messer stechen. Aber das ist erledigt. Das war eine Aussprache zwischen uns, ich habe überlebt, womit er nicht gerechnet hatte und auch nicht rechnen konnte. Nun ist er tot, und damit ist der ganze Fall abgeschlossen.« Mahlert hob die Hand. »Peter, wenn du mich nicht schnellsten wieder auf die Beine kriegst, bist du ein miserabler Mediziner. Ich muß morgen wieder auf dem Damm sein.«
»Unmöglich! Nicht mit Fieber und einer beginnenden Wundinfektion.«
»Übermorgen. Das ist meine letzte Konzession! Ich muß mich um Monika kümmern.«
»Aha! Monika heißt die Dame! War sie der Duellgrund?«
»Ja!« Mahlert versuchte, sich wieder aufzurichten. Roßkauf drückte ihn sanft, aber bestimmt in die Kissen zurück. »Ich weiß, wie nötig Monika jetzt eine feste Stütze braucht.«
»Und das bist ausgerechnet du!«
»Du hast ja keine Ahnung, was draußen wirklich los ist, Peter! Du machst deinen Dr. med. du ochst fürs Staatsexamen, jeder erwartet, daß du es mit summa cum laude machst, und das schaffst du auch, und dann steht der junge Herr Doktor so hoch über den Realitäten, daß ihn Hilferufe aus der Tiefe nicht mehr erreichen. Der Halbgott in Weiß …«
»Du bist ein Arschloch!« sagte Roßkauf genüßlich. »Natürlich mache ich meine examina mit Glanz und Gloria. Aber schließt das aus, daß ich mich um den Sumpf der Gesellschaft kümmere? Gerade als Arzt –«
»Da haben wir's ja! Sumpf der Gesellschaft! Wer solche Vorurteile hat, bleibt immer draußen, bleibt immer nur der distanzierte Moralprediger! Er rennt nie Türen ein – er baut nur immer neue Wälle!«
»Wieso hast du eigentlich Chemie studiert und nicht Theologie? Dein Talent zum Seelsorger ist enorm!« Peter Roßkauf fühlte noch einmal den Puls; er war etwas flach, aber kaum beschleunigt. Das Fieberthermometer zeigte 37,9. Noch nichts, was zur Besorgnis Anlaß gab, aber übersehen durfte man es auch nicht. »Eine Frage: Gehört diese Monika zu den Fixerkreisen, die du als Prophet eines reineren Lebens beglücken willst?«
»Auf solch ironische Fragen gebe ich dir keine Antwort.«
»Konkreter: Ist Monika ein
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