Eine angesehene Familie
schußbereit. Sie mußte mehrmals schlucken, ihr Gaumen war wie Leder; wenn sie tief atmete, wurde es glühend heiß in ihrer Brust.
Noch einmal betrachtete sie sich im Spiegel. Sie war wirklich noch eine schöne Frau.
Als sie die Tür aufschloß und in das Schlafzimmer kam, lag Makaroff ausgezogen auf dem Bett, neben sich zwei Gläser mit Champagner. Die Vorfreude hatte ihn bereits erregt, sie sah es mit aufsteigender Übelkeit.
»Komm her!« sagte Makaroff und winkte mit beiden Händen. »Du schönste aller Frauen! Wie dein Körper glänzt, wie die Sehnsucht aus dir strahlt.«
Wie eine aufgezogene automatische Puppe ging sie quer durch das Zimmer zum Bett und blieb vor Makaroff stehen. Er griff nach ihr, zog sie näher zu sich und küßte die Innenseiten ihrer Schenkel. Es war, als schlitze ein glühendes Messer sie auf.
Maria Barrenberg schlug die Zähne aufeinander, preßte die Lider zusammen, ließ die goldene Tasche fallen und überließ sich ohne weiteres Zögern Makaroffs überwältigender Erfahrung.
Eintragung in das neue Tagebuch, Seite 12:
Und wenn ihr mich alle verflucht: Ich habe mir einen Druck gesetzt. Schon wieder! Ich kam einfach nicht mehr in das Gleichgewicht, das ich brauche. Die Mathe-Aufgaben sprangen mich an wie wilde Tiere, dann Mamas Stimme draußen vor der Tür, schon wieder eine Soiree bei irgend so einer gackernden, aufgetakelten Tante, die sooo wichtig ist für Papa, weil der Alte seine Fabrik erweitern will. Und dann sind sie alle da in langen Kleidern und mit Schmuck behangen wie Weihnachtsbäume in Hollywood, quatschen saudämliches Zeug, ziehen über die Nachbarn oder die Dienstboten her, schildern dramatisch ihre Krankheiten, beschweren sich über die hohen Steuern und sind entsetzt über die Jugendkriminalität – »Das hätte es unter Hitler nie gegeben!« – immer dieser blöde Satz, immer anwendbar, wenn man Kritik üben will! Und dann stehen sie am Kalten Büffet (von den Gebrüdern Lottmann geliefert), fressen und schmatzen, saufen und gickern, und die Gewerkschaften müßten als erstes verboten werden, und die Löhne seien mittlerweile Wahnsinn, man käme ja nicht mehr auf die Beine, die Konkurrenzfähigkeit zum Ausland, vor allem zu Japan, schrumpfe immer mehr, man brauche wieder drei Millionen Arbeitslose, damit die Roten endlich munter werden und die Arbeiter die Gewerkschaften in den Arsch treten, überhaupt, diese Zeit ist typisch für einen schleichenden Untergang, es fehlt die starke Hand, einer, der auf den Tisch und gegen die Köpfe haut, überhaupt Köpfe … Diese Kriminalität überall, Todesstrafe her, Köpfe runter, Rübe ab, das hilft, das schreckt ab, unter Hitler, das sei bewiesen … Und dann erzählt Herr Direktor Dr. Pertzele von seinen Zeiten als Wehrwirtschaftsführer und wie man die Industrie an die Kandare nehmen kann. Augenleuchten, Schulterklopfen, Kameraderie, Kumpanei, wenn wir könnten, wie wir wollen … Der Russe liefe vor Angst die Wände hoch …
Die Gesellschaft. Mamas und Papas Welt, die Auftraggeber, die Repräsentanten. Und ich sitze hier allein, sehe Freddy tot auf der Couch liegen, er lächelt so glücklich … Und kann keine Mathe mehr, mir dreht sich der Magen rum, ich muß kotzen, wenn ich daran denke, daß Mama jetzt am Kalten Büffet steht und Papa in Florenz vielleicht mit einer nach billigem Rosenparfüm stinkenden, wuschelköpfigen Hure im Bett liegt und ihr erzählt: Meine Frau ist kalt wie ein Gletscher. Und wenn er morgen nach Hause kommt, schleicht er wieder zu seiner deutschen Geliebten, Mama aber bringt er todsicher aus Florenz irgendein sehr teures Schmuckstück mit und nimmt ihren ahnungslosen Dank mit vor Stolz geschwellter Brust entgegen.
Wie verlogen, wie widerlich das alles ist! Sind andere Familien auch so? Ist das die Norm einer Familie im 20. Jahrhundert? Einer deutschen Nachkriegs-Wirtschaftswunder-Familie?!
Ich habe in der Schule die anderen gefragt, so reihum in meiner Klasse. Sie haben alle die gleiche Meinung: Was geht das mich an? Das ist Sache der Alten! Wenn sie selber bumsen, stören sie wenigstens unser Bumsen nicht. Mein Vater und eine Geliebte? Möglich! Er spielt ja Golf, und frische Luft hält potent. Mutter? Warum nicht. Ist ja im besten Alter. Trägt auch enge Hosen und tief ausgeschnittene Pullis, und die Haare färbt sie sich wie Irma la Douce. Sieht im Bikini noch klasse aus, ehrlich. Alt wird man schnell genug. Mensch, Monika, stell nicht so dämliche Fragen. Was soll's!
Ich komme da
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