Eine angesehene Familie
Oberkörper hingen. Ihre Zehen bewegten sich in dem Strumpf, sie glättete das feine Gespinst, feuchtete ihren Finger an und strich über die Rückseite ihres Beines, um das letzte Fältchen wegzustreichen. Dann richtete sie sich auf, blickte zu ihm hin, aber aus einem Winkel, der sie den Spiegel nicht sehen ließ, sie lächelte, warf mit einer Kopfbewegung die schwarze Haarsträhne aus ihrem Gesicht, griff zur Seite und hob den BH vom Sitz eines mit Goldbrokat bezogenen Sessels. Erst als die weißen Spitzen ihre Brüste umschlossen, räusperte er sich.
»Wie weit bist du?« rief sie. Ihre Stimme war angenehm dunkel. Ein Klang in Moll.
»Fertig!« antwortete Eduard Barrenberg.
Er verließ das Badezimmer, faßte sie um die Taille und küßte ihre Halsbeuge. »Das Weggehen ist immer das Fürchterlichste. Dieses Wegmüssen! Diese Heimlichtuerei! Ich möchte endlich einmal eine ganze Nacht mit dir –«
»Wer hat gesagt: Laß uns nicht weiter denken, als das Bett breit ist?!« Sie zog ihren Rock über die Hüften, und er zog den Reißverschluß zu, nicht ohne über ihre Schenkel zu streicheln.
»Ich! Das ist die Philosophie der Scheinheiligen, auf die das Licht der Öffentlichkeit fällt. Da scheint's überall nur Engel zu geben! Betty, manchmal habe ich eine wilde Lust, auszubrechen! Alles anders zu machen, neu anzufangen, mit dem Wissen von heute noch einmal ganz jung zu sein – mit dir die Zukunft zu erobern … Mit dir!«
Er nannte sie Betty, seit jenem Abend, an dem er sie zum erstenmal geliebt hatte, vor knapp einem Jahr, hier in dieser Wohnung. Sie mochte die Koseform nicht, sie klang ihr so professionell, zu gossenhaft. ›Betty, die Geliebte‹ – sie sah bei diesem Wort nur die Hand, die Geld für versteckte Stunden kassierte. Aber er fand Betty gut und zärtlich, sagte Betty, wenn er sie liebkoste und seufzte Betty, wenn er ermattete. Und so beließ sie es dabei und ertrug den Namen.
Ob sie ihn liebte? Das hatte sie sich selbst oft gefragt – wenn er gerade weggegangen war, oder wenn sie wußte, daß er in wenigen Minuten kommen würde. Sie war seine Geliebte geworden, als ihre Bekanntschaft nicht älter als sieben Stunden war. Eigentlich hatte sie sich von dem großen Architekten Eduard Barrenberg nur ein bißchen Anerkennung erhofft; sie war mit einer Mappe Graphiken zu ihm gekommen, die ein Kunde Barrenbergs bei ihr bestellt hatte und mit denen er sein neues, von Barrenberg gebautes Bürohaus ausschmücken wollte. Sie hatte die Blätter vor Barrenberg ausgebreitet, vor dem Schreibtisch, auf dem Boden des großen Büros, und Barrenberg hatte neben ihr gekniet, mit Geschmack die besten Entwürfe herausgesucht und sie dann zum Essen eingeladen. Natürlich hatte sie bemerkt, daß er sie oft von der Seite musterte, daß er ihr Parfüm bewußt einatmete, daß ihm der Geruch ihres Haares nicht entgangen war und daß sein Blick oft auf dem Ausschnitt ihres Kleides verweilte, das vorne geschlitzt war und von drei schmalen Riegeln in schicklichen Grenzen gehalten wurde. Trotzdem sah man genug, und was man sah, konnte ein Mann wie Barrenberg offenbar nicht ignorieren.
Ein attraktiver Mann – das, was man einen Traummann nennt, war Barrenberg nicht. Er war etwas über mittelgroß, hatte breite Schultern und einen runden Kopf mit graufädigem dunkelblonden Haar, seine grauen Augen blickten meistens mit forschendem Mißtrauen auf seine Partner, sein Mund war schmallippig, sein Kinn sogar weichlich: ein Mann, der Maßanzüge brauchte, um zu betonen: Ich habe es geschafft! Ein Erfolgreicher im ledernen Chefsessel, von Telefonen umgeben. Der Boß.
Dieser erste Eindruck verflog aber, wenn er sprach, wenn er mit einer alltäglichen Stimme gleichsam den unsichtbaren Lorbeer um sein Haupt wegredete. Dann erkannte man den Menschen, einen klugen, von unbefriedigten Sehnsüchten erfüllten Menschen, der sich im Leben alles hatte leisten können, nur das eine nicht: zu sich selbst zu finden.
Bettina hatte das schon beim Essen bemerkt. Man hatte über Kunst gesprochen, über Ausstellungen, über Modeströmungen in der Malerei. Barrenberg hatte gesagt:
»Wenn man so will: Ich bin von Kunst umzingelt. Mein Beruf war nie das bloße Entwickeln von Häusern; bei jedem Bau kam es mir auch auf den ästhetischen Ausdruck an. Meine Frau war früher eine bekannte Pianistin-Maria Sakrow, vielleicht haben Sie den Namen mal gehört, als Kind, ja, da müssen Sie noch ein Kind gewesen sein, aber es gibt heute noch Schallplatten von
Weitere Kostenlose Bücher