Eine Art von Zorn
Sanger ist hier?«
»Natürlich. Er wohnt hier.« Sie wandte sich zu ihrem Mann. »Albert, wie heißt das Haus von Monsieur Sanger?«
»Valentine.«
»Nein, nein. Als er die Terrasse anbaute, hat er es umgetauft.« Sie schnalzte mit den Fingern. »Jetzt heißt es La Sourisette. Ich erinnere mich deshalb daran, weil es eigentlich kein französisches Wort ist – La Sourisette.«
So einfach war das also.
II
La Sourisette war ein umgebautes Bauernhaus am Stadtrand, am Grasse zugewandten Abhang des Hügels. Der alte Feldweg war gepflastert worden, und links und rechts standen Oleanderbüsche. Wacholder- und Pfeffersträucher versteckten das Haus fast ganz vor neugierigen Blicken von der Straße her. Tore gab es keine, aber auf einem Schild stand kalligraphisch ›Privatbesitz‹ und ›Warnung vor dem Hund‹. Es war die Atmosphäre gepflegter, eleganter Abgeschiedenheit.
Ich hielt den Wagen auf der Straße an und überlegte, wie ich mich Sanger nähern sollte. Wenn ich einfach mit der Türe ins Haus fiel und nach Lucia Bernardi fragte, würde er von nichts wissen. Wenn ich insistierte, würde er mich des Hauses verweisen. Wenn ich dann nicht ging, würde er mich entweder selber hinauswerfen oder die Polizei rufen, die es dann an seiner Stelle besorgen würde. Wenn er die Polizei rief, so bedeutete das, daß er sich sicher fühlte; es bedeutete aber auch, daß die Polizei Fragen stellen würde, die ich nicht beantworten konnte, ohne die Sache zu verpatzen. Wenn er die Polizei nicht rief, so würde ich immer noch nichts wissen, er aber würde wissen, daß ich ihn verdächtigte.
Meine Lage wurde dadurch nicht besser, daß ich, um überhaupt ans Ziel zu gelangen, davon ausgehen mußte, daß der Tip des alten Cust gut war, woran ich aber ganz und gar nicht glaubte.
Ich wollte ins Stadtzentrum zurückfahren, um Sy Bericht zu erstatten und ihn um Instruktionen zu bitten, ließ es dann aber bleiben, weil mir seine anfeuernden Worte vom Tag vorher noch im Magen lagen.
Zudem hatte ich ja schon etwas erreicht, hatte herausgefunden, wo Sanger wohnte. In diesem Stadium brauchte ich niemanden, der mir Vorschriften machte.
Ich fuhr zu einem Gasthaus in Mougins und nahm ein Zimmer. Dann ließ ich mir von der Vermittlung die Nummer von La Sourisette geben und rief an.
Am Apparat war eine Frau, die mit einem stark südfranzösischen Akzent sprach, wahrscheinlich das Dienstmädchen oder die Haushälterin. Ich verlangte Monsieur Sanger. Als sie nach meinem Namen fragte, murmelte ich etwas und hängte ein. Jetzt wußte ich, daß er zu Hause war. Ich versuchte, mich in seine Lage zu versetzen.
Wenn man einmal von Lucia Bernardi absah, so hatte ich hier einen Berufsverbrecher vor mir, der es in seinem Beruf weit gebracht hatte und die Früchte seiner Arbeit in Grundstücken investiert hatte. Ob er sich von den Geschäften zurückgezogen hatte oder nicht, war mir unbekannt. Ich wußte nur, daß er hier komfortabel und respektabel unter seinem eigenen Namen lebte, ein französischer Bürger in Frankreich. Und warum auch nicht? Den Informationen aus New York zufolge hatte man ihm noch nie etwas nachweisen können, selbst nicht in Deutschland und Italien, seinem Tätigkeitsfeld. In Frankreich durfte er sich also sicher fühlen.
Aber ein Mann in seiner Position mußte zwangsläufig Blößen und verwundbare Stellen haben. Eine hatte ich schon erspäht.
Beim Kauf der drei Grundstücke in Sète hatte er die Adresse des einen als seine Wohnadresse angegeben. Das war nicht verboten; es war eine gültige Adresse, auch wenn das Haus unbewohnbar war. Aber sie diente ihm – genau wie die Marseiller Bank – als Tarnung. Zwar hatte Sanger die Grundstücke unter seinem richtigen Namen gekauft, weil er mit einem falschen ja den Rechtsanspruch nicht beweisen konnte, aber es war ihm – bewußt oder unbewußt – daran gelegen, daß er nicht so leicht zu finden war. Obschon er sich sicher fühlte, war er vorsichtig und bediente sich des zusätzlichen Schutzes der Verborgenheit.
Hier konnte ich einhaken.
Kurz nach sechs Uhr wurde es dunkel. Ich rief in Paris an und gab meine Telefonnummer durch, ließ mich aber nicht mit Sy verbinden. Dann trank ich ein Glas und fuhr zurück zu La Sourisette. Von der Auffahrt her sah ich Licht durch die Bäume schimmern.
Das Grundstück war größer, als es von der Straße her geschienen hatte. Offensichtlich hatte Sanger angebaut. Aus dem alten Bauernhof war ein von einer Mauer umgebener Garten geworden,
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