Eine Art von Zorn
hatte, kehrte sie nach Antibes zurück. Lucia blieb.«
»Aber warum?« fragte Madame. Mir war dieselbe Frage auf der Zunge gelegen.
Er dachte einen Augenblick nach. »Ich nehme an, einerseits war sie froh, Henriette loszuwerden. In der Tat würde es mich nicht wundern, wenn das der Punkt war, an dem es mit ihrem Geschäft wirklich bergab ging. Und außerdem wollte sie Ski laufen. Und dann … nun, ich glaube nicht, daß die alte Dame und ihr Äther Lucia besonders Angst machten. Sie fürchtete sich vor niemandem. Es war nicht ihre Art, davonzulaufen.«
»Aber aus jener Villa in Zürich ist sie davongelaufen«, erinnerte ich ihn.
»Dann muß sie dafür sehr gute Gründe gehabt haben«, erwiderte er.
»Sie sagten, daß bei der alten Dame ein Ehepaar wohnte. Wenn sie sich jetzt dort aufhielte, würden die beiden doch sicherlich darüber reden.«
»Das ist ja das Komische«, sagte er. »Sie würden nicht. Lucia erzählte mir, daß die zwei mit keinem Wort erwähnten, was die alte Dame trieb. Natürlich wußte jedermann im Dorf Bescheid, denn ab und zu erschien sie dort stockbetrunken und roch wie ein Operationssaal. Aber das Ehepaar plauderte nichts aus. Es waren keine Einheimischen, wissen Sie.« Er zuckte die Achseln. »Jedenfalls glaube ich, daß sich ein Versuch lohnt.«
»Ich weiß, wie ich Henriette Colin erreichen kann«, sagte ich, »vermutlich könnte sie mir die Adresse geben.«
Er spitzte die Lippen. »Das wäre ein bißchen riskant für Sie, meinen Sie nicht? Sie würden sie auf eine Idee bringen. Angenommen, sie erzählt es weiter, vielleicht sogar der Polizei? Nein, am besten ist, selbst hinzufahren und an Ort und Stelle Nachforschungen anzustellen. Die Saison ist schon fast vorbei. Es werden nur die Einheimischen dort sein. Das kann nicht so schwierig sein. Sie könnten morgen früh losfahren.«
Und komme am Abend zurück und muß feststellen, daß ich einen ganzen Tag vertan habe, dachte ich. Ich wußte, daß meine Reaktion unvernünftig war. Ich hatte ihn um seine Hilfe gebeten, ohne alle Umschweife, und er schien sie mir zu gewähren. Aber irgend etwas gefiel mir an der Sache nicht. Vielleicht die Art und Weise, wie er gesagt hatte: ›Sie können morgen früh losfahren.‹ Ich stellte mir nur ungern vor, wie ich durch Südfrankreich fuhr, um abgelegene Dörfer aufzusuchen, während er gemütlich beim Feuer saß und Pläne machte, wie er mich weiterhin narren konnte.
»Sie sprachen von einigen Orten?« sagte ich. »Welches sind die anderen?«
»Sie könnte in einem Privatsanatorium sein. Haben Sie daran schon einmal gedacht?«
»Dann würden mehrere Leute davon wissen. Und ob die alle schweigen würden?«
»Einem Gerücht zufolge weiß die Polizei, wo sie sich befindet, sagt es aber nicht.«
»Dieses Gerücht haben einige Zeitungen ausgesprengt. Können Sie herausfinden, ob es der Wahrheit entspricht?«
»So vertraut bin ich mit der Polizei hier nicht. Auf jeden Fall halte ich Peira-Cava nach wie vor für Ihr bestes Pferd.«
Ich stellte mein Glas nieder. » Unser bestes Pferd, Monsieur Sanger«, sagte ich. »Redaktionsschluß ist Freitag, elf Uhr nachts, New Yorker Zeit. Was ich von Ihnen weiß, genügt für eine Fortsetzungsgeschichte über die vermißte Schöne im Bikini, und wenn ich bis dann nichts Besseres in Erfahrung bringen kann, muß ich sie eben schreiben. Heute ist Dienstag. Ich schlage vor, wir fahren morgen zusammen nach Peira-Cava. Falls Lucia Bernardi zufällig dort ist, wird sie sicher eher mitmachen, wenn Sie dabei sind, um ihr die Situation zu erklären. Ich will ihr nicht die Polizei auf den Hals hetzen, ich will von ihr bloß wissen, was in Zürich geschah und warum. Von mir aus kann sie dann wieder verschwinden.«
Madame Sanger beugte sich vor. »Ist das Ihr Ernst, Monsieur Maas?«
»Ja. Soviel ich sehe, hat sie kein Verbrechen verübt – wenigstens nicht in Frankreich oder in der Schweiz. Mir ist nur an der Story gelegen. Aber wenn ich ihr das erkläre, glaubt sie mir wahrscheinlich nicht. Ich vermute, daß sie eher geneigt sein wird, Ihrem Mann zu glauben.«
»Und wenn Sie sie in Peira-Cava nicht finden?« fragte sie.
»Dann kann ich keine Zeit mehr verschwenden. Ich werde nach Paris zurückfahren müssen.«
Sanger lachte auf. »Und daran gehen, unser Leben zu zerstören, nicht wahr?«
Es war keine Frage. Ich erwiderte nichts.
Er seufzte. »Also gut. Ich werde Sie begleiten. Ist Ihnen zehn Uhr recht?«
»Ich werde Sie abholen.« Ich stand auf, um mich zu
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