Eine Art von Zorn
verabschieden, und bemerkte, daß Madame Sanger wiederum lächelte. Als ich ihre Einladung zum Essen angenommen hatte, schien sie sich gefreut zu haben. Jetzt schien sie sich darüber zu freuen, daß ich ging. Ich konnte es ihr aber nicht verdenken.
IV
Als ich ins Gasthaus zurückkam, rief ich Sy in seiner Wohnung an. Er und seine Frau waren für nette Parties bekannt, und nach den Stimmen und dem Gelächter im Hintergrund zu schließen, war eine solche Party eben in vollem Gange.
»Ja, Piet? Wie kommen Sie voran?« Es klang, als habe er schon einiges getrunken.
»Möglicherweise habe ich eine Spur.«
»Ach ja? Na sehen Sie.« Er tönte nicht unzufrieden.
»Ich sagte ›möglicherweise‹, und ich möchte im Augenblick nichts weiter sagen. Wahrscheinlich weiß ich es morgen abend sicher.«
»Ist das alles, was Sie mir sagen wollen?«
»Ja. Nur noch eins. Irgendeine Story dürfte Zustandekommen. Ob auch die Story zustandekommt, weiß ich noch nicht.«
»Es tut mir leid, aber irgendeine Story wird er nicht wollen.«
»Vielleicht kriegt er nicht einmal die. Ich weiß das jetzt noch nicht. Ach ja, noch was. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mir eine Kamera kaufe?«
»Um eine Frau zu fotografieren?«
»Nein, einen Mann. Aber ich möchte dafür keinen Fotografen aus der Umgebung engagieren.«
»Tun Sie das ja nicht!« Er schwieg einen Augenblick. »Wissen Sie, wie man mit einem Fotoapparat umgeht, Piet? Ich meine, richtig?«
»Natürlich. Man schaut rein und macht Klick . Ich hoffe, daß mir der Verkäufer zeigen wird, wie man den Film einlegt.«
Plötzlich erhob er seine Stimme. »Lassen Sie den Quatsch! Ich habe Sie etwas gefragt, verdammt noch mal!«
»Und die Antwort lautet: Ja. Und im übrigen mag ich es nicht, wenn man mich anbrüllt. Soll ich nun eine Kamera kaufen?«
»Also gut, meinetwegen. Aber hören Sie – ich muß wissen, was vorgeht. Ich weiß, daß Sie am Telefon vorsichtig sein müssen, aber schließlich brauchen Sie ja nicht alles zu sagen. Was haben Sie bis jetzt erreicht? Haben Sie unseren Mann ausfindig gemacht?«
»Morgen werde ich es wissen.«
»Dann wissen Sie noch nicht einmal, ob Sie überhaupt irgendeine Story zusammenkriegen.«
»Das werde ich Ihnen morgen sagen.«
»Großer Gott, Piet, wenn Sie tatsächlich etwas herausbekommen haben und es vermasseln, weil Sie zu scharf darauf sind, um auch nur darüber zu sprechen …«
Ich unterbrach ihn, bevor er seinen Satz beenden konnte. »Es ist etwas im Gange. Morgen werden wir beide wissen, ob es sich lohnt, darüber zu sprechen. Im Augenblick kann ich nicht mehr darüber sagen. Gute Nacht.«
Ich hängte ein und wartete, ob er zurückrufen würde. Er tat es nicht. Solange die Sache auch nur ganz schwach nach Mißerfolg roch, würde man mich allein lassen. Das konnte mir nur recht sein.
Vor meiner Abreise von Paris hatte ich mir noch Schlaftabletten gekauft. Ich nahm drei davon und wachte nach fünf Stunden wieder auf. Es war noch dunkel. Ich blieb eine Zeitlang im Bett liegen und dachte über die Sangers nach und über Lucia Bernardi, die nach Arbil verrückt gewesen war. Dann stand ich auf und las noch mal die Fotokopien der Unterlagen, die ich mitgebracht hatte.
Das biographische Material über Oberst Arbil war nicht besonders aufschlußreich.
Er war 1917 in Kirkuk in Südkurdistan als Sohn eines Wollhändlers geboren. Südkurdistan gehörte damals noch zum Osmanischen Reich. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war es ein Teil des Iraks geworden. Im Jahre 1932, als das britische Mandat zu Ende ging und der Irak zum unabhängigen Staat erklärt wurde, war Arbil als Kadett in die Armee aufgenommen worden. 1936 hatte er das Offizierspatent bekommen und war dann zwecks Spezialausbildung im Intelligence Service nach England gegangen. Anno 1946, als er bereits Hauptmann war, kam er wieder nach England, diesmal um einen Kurs an der Britischen Generalstabsakademie zu besuchen. Während seines Aufenthalts in England hatte er mit einer Engländerin eine Zivilehe geschlossen. Sie hatte sich später wegen böswilligen Verlassens scheiden lassen. 1958 hatte er am coup d’état von Brigadier Kassim teilgenommen, der die Regierung von König Feisal gestürzt und den Irak zur Republik gemacht hatte. Kurz danach wurde er Leiter des Inneren Sicherheitsdienstes, eines Postens mit Militär- und Zivilpolizeigewalt, und in dieser Eigenschaft nahm er auch an der Genfer Konferenz teil, während der er sich entschlossen hatte, nicht mehr in den
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