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Eine Art von Zorn

Eine Art von Zorn

Titel: Eine Art von Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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Irak zurückzukehren. Ein Rechercheur hatte Informationen über die kurdische Nationalistenbewegung gesammelt, die Oberst Arbil unterstützt hatte. Die Kurden, so las ich, sind ein altes Bergvolk; sie bewohnen ein Gebiet, das sich vom sowjetischen Armenien über die nordöstliche Ecke des Irak bis nach Syrien und von Kermanschah im Iran bis nach Erzerum in der Türkei erstreckt. Sie bilden somit Minoritäten in fünf verschiedenen Staaten. Ihre Zahl beläuft sich ungefähr auf vier Millionen, und es sind fast alles Sunniten, also streng orthodoxe Muslime. Zum kurdischen Teil des Iraks gehören die reichen Ölfelder von Kirkuk und Mosul.
    1920 schuf der Friedensvertrag der Alliierten mit der Türkei, bekannt als der ›Vertrag von Sèvres‹, einen autonomen kurdischen Staat; dieser Vertrag wurde jedoch nie ratifiziert, sondern im darauffolgenden Jahr durch den ›Vertrag von Lausanne‹ ersetzt, der Kurdistan teilte.
    Im Jahre 1927 entstand eine kurdische Unabhängigkeitsbewegung, Khoibun genannt. Allein im Irak hat es fünf größere Kurdenaufstände gegeben. 1946 wurde in Mahabad im Iran eine von den Sowjets unterstützte unabhängige kurdische Republik gegründet. Sie bestand elf Monate. Dann gelang es der iranischen Armee, das Gebiet zurückzuerobern.
    Gemäß den Informationen des Rechercheurs hatten Alexander der Große, Xenophon, Marco Polo und die Kommission für den Friedensvertrag von 1919 mit den Kurden verhandelt, und sie waren alle zu ähnlichen Schlüssen gekommen. Um mit der Kommission zu reden, waren die Kurden ›ein wildes, räuberisches Volk, mit dem nicht zu spaßen ist‹. Ein zeitgenössischer Experte für den Nahen Osten hatte geschrieben, daß ›durch ihre Gewohnheit, alles, was sich bewegt, sofort abzuknallen, jede Einmischung von außen auf ein Minimum beschränkt worden ist‹. Andererseits hatten die Kurden jede Gelegenheit benutzt, um sich in die Angelegenheiten ihrer Nachbarn einzumischen. Die regelmäßigen Massaker an der armenischen Bevölkerung waren fast alle das Werk von Kurden gewesen. Oberst Arbil war Kurde gewesen und Leiter des Inneren Sicherheitsdienstes, der Polizeigewalt besaß.
    Eine wenig erfreuliche Kombination. Ich begann mich zu fragen, wieviel Lucia Bernardi in Wirklichkeit über ihn gewußt hatte.
    Kurz nach neun Uhr ging ich in die Stadt und fand ein Fotogeschäft, das eine gebrauchte Rolleiflex zu verkaufen hatte. Ich legte gleich im Laden einen Film ein und steckte ein paar Filme in die Tasche. Dann kehrte ich zum Gasthaus zurück, bestieg den Wagen und fuhr zu La Sourisette. Ich hielt vor der Auffahrt und machte Aufnahmen vom Haus. Dann wechselte ich den Film aus und ging auf den Hauseingang zu.
    Die Kamera hatte ich im Wagen gelassen. Der Airedale-Terrier bellte, und das Dienstmädchen öffnete, eine Hand an seinem Halsband – wie am Vortag. Als sie mich erkannte, bat sie mich einzutreten. Ich trug ihr auf, Monsieur Sanger zu bestellen, daß ich hier sei und draußen im Wagen auf ihn warte.
    Ich brauchte nicht lange zu warten. Er kam heraus und sah in seinem Tweedanzug wie ein Landedelmann aus. Ich erwischte ihn zweimal gut, bevor er überhaupt merkte, was ich tat. Als er zu protestieren begann, gelang mir eine Nahaufnahme, bei der er direkt im Sonnenlicht stand. Im Hintergrund, vor der Haustür, stand Madame Sanger. Ich hoffte auf genug Tiefenschärfe für beide. Ihn hatte ich auf jeden Fall.
    »Was soll das?« fragte er.
    »Sicher ist sicher«, sagte ich.
    Madame verschwand im Haus. Er überlegte, ob er mir die Kamera wegnehmen sollte, fand es dann aber klüger, in diesem Stadium nicht mit mir zu streiten. Meine Erscheinung, das spürte ich, hätte ihn nicht davon abgehalten.
    Er blickte verblüfft auf meinen gemieteten Wagen. »Soll ich etwa damit nach Peira-Cava fahren?«
    »Er fährt.«
    »Ich habe einen Lancia in der Garage. Darin fährt sich’s bestimmt bequemer.«
    »So weit haben wir ja nicht.«
    »Ganz wie Sie meinen.« Er lächelte gönnerhaft, als ich die Kamera in das Handschuhfach legte und es versperrte. »Ist das ein Zeichen von Mißtrauen?« fragte er.
    »Ja.«
    Er schlug vor, Cannes zu umfahren und bei Antibes die Autostraße zu nehmen. Von da an schwiegen wir beide, bis wir Nizza erreichten. Dann dirigierte er mich durch die Gäßchen der Stadt in Richtung Sospel.
    Es hatte nicht viel Verkehr. Oberhalb von Escarène war die Straße mit Schneematsch bedeckt, der fester wurde, als wir höher hinaufkamen. Bald war es notwendig, die Heizung

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