Eine Art von Zorn
wenige –, und damit hätte ich das Kennzeichen Ihres Wagens. Dann würde ich zur Polizei gehen und eine falsche Anschuldigung machen – wegen eines Bagatelldelikts, einem kleinen Diebstahl beispielsweise – und mich dann entschuldigen, wenn man Sie festgenommen hat, und sagen, ich hätte mich geirrt. An Ihrer Stelle würde ich den Wagen so schnell wie möglich loswerden, sonst haben Sie die beiden bestimmt auf dem Hals.«
»Wohin werden Sie fahren?« fragte ich.
Er blickte mich nachdenklich an. »Ich glaube, es ist besser, wenn Sie das nicht wissen. Unklare Motive sind etwas Seltsames. Sie könnten sich entschließen, Ihre Meinung zu ändern.«
Ich hatte bemerkt, wie er mit den Papieren zwei französische Pässe in die Aktenmappe gesteckt hatte. »Wollen Sie Frankreich verlassen?« fragte ich.
»Nur wenn es notwendig wird. Aber das glaube ich nicht.«
Adèle Sanger kam aus dem vorderen Wohnzimmer. Sie sah bemerkenswert gefaßt aus für jemanden, der aus tiefem Schlaf geweckt worden war und Unangenehmes vor sich hatte.
»Marie kocht Kaffee«, sagte sie. Dann wandte sie sich mir zu. »Ich nehme an, mein Mann hat sich bereits bei Ihnen bedankt für Ihre Liebenswürdigkeit, Monsieur.«
»Oh, nichts zu danken. Ich muß mich entschuldigen, daß ich Sie mitten in der Nacht störe.«
»Die Alternative wäre viel schlimmer gewesen.« Sie wurde geschäftlich. »Nun, ich habe mit Lucia gesprochen und getan, was ich konnte. Natürlich ist sie nicht glücklich darüber. Ich konnte sie nur dazu bewegen, mir zu erlauben, Ihnen die Telefonnummer des Hauses zu geben, nicht die Adresse.« Sie reichte mir ein Blatt Notizpapier. »Hier. Außerdem sagt sie, daß sie vielleicht irgendwo anders hingehen wird. Aber in diesem Fall wird sie Sie informieren. Sie wird das ganz bestimmt tun. Ich soll ihr sagen, wo sie Sie erreichen kann.«
»Das weiß ich noch nicht genau.«
Sanger langte zum Bücherregal hinauf und warf mir einen Guide Michelin zu. »Sie sagten, Sie wollten sich in einem Hotel in Nizza einquartieren. Am besten entscheiden Sie sich gleich für eines.«
»Gut.«
Ich mußte jetzt an mein Geld denken. Ich hatte schon sehr viel verbraucht, und es war unwahrscheinlich, daß vom World Reporter weitere Gehaltsüberweisungen kommen würden. Ich wählte ein billiges Hotel, eins ohne Restaurant, und nannte Adèle Sanger seinen Namen.
Sie notierte ihn. »Sehr gut«, sagte sie. »In dieser Jahreszeit werden Sie dort leicht ein Zimmer bekommen. Wenn nicht, dann gehen Sie in das nächste Hotel, das auf der Michelin -Liste steht. Wenn Sie von dort aus irgendeinem Grund ausziehen müssen, gehen Sie wiederum ins nächste auf der Liste. Ich werde Lucia sagen, daß wir das so vereinbart haben.«
»Ich verstehe.«
Sie seufzte. »Jetzt werde ich wohl nie erfahren, warum sie sich so gefürchtet hat.«
»Sie werden bald so viel wissen wie ich, Madame. Das Magazin wird es nächste Woche veröffentlichen. Diesen Teil der Geschichte werden sie ausführlich bringen. Was ihre Furcht betrifft, so bin ich nicht so sicher, ob Sie damit recht hatten.«
»Was hat sie Ihnen erzählt?«
»Ein wenig von der Wahrheit, Madame, aber hauptsächlich Lügen, denke ich.« Ich warf einen flüchtigen Blick auf Sanger, der den Safe verschloß. »Sie haben nach meinen Motiven gefragt. Sie sind nicht so unklar. Ich habe nichts zu verlieren, außer einem Job, an dem mir nichts liegt, und ich muß meine Neugier befriedigen. Ist das nicht genug?«
Er sah belustigt drein. »Jetzt kapier ich’s. Ich würde es aber nicht so sagen.«
»Sondern?«
»Lucia interessiert Sie. Sie gefällt Ihnen über die Maßen, so daß Sie bereit sind, Ihre Chefs zu hintergehen, um die Sache zusammen mit ihr zu verfolgen. Sie befriedigen nicht Ihre Neugier, sondern Ihre Begier. Was Ihnen Auftrieb gibt, ist die Wollust. Adèle weiß, wovon ich rede, nicht wahr, Liebling? Was glauben Sie wohl, warum wir Lucia für unsere Ausflüge nach München und St. Moritz ausgewählt haben? Weil sie genau das war, was wir brauchten. Frauen ihrer Art sind rar, und sie war eine der Besten. Es ist nicht nur ihr Aussehen. Und es liegt nicht nur daran, daß sie Köpfchen hat. Sie übt eine seltsame Wirkung auf Männer aus. Alle möchten mit ihr ins Bett, aber sie hat etwas, was selbst erfahrene Schürzenjäger unsicher macht, sie zweifeln läßt, ob sie reüssieren. Sie flößt ihnen Minderwertigkeitsgefühle ein. Ich habe das miterlebt. Arbil, zum Beispiel, hat sich wie ein Schüler
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