Eine Art von Zorn
hatte sowohl einen Revolver als auch ein Motorrad. Meine einzige Chance war, wieder ins Ambulatorium zu gelangen, bevor er so weit im Hof drinnen war, daß er den Lichtschein sah, wenn ich die Türe öffnete.
Als ich wieder auf dem Flur stand, untersuchte ich sofort das Türschloß. Es war ein Patentschloß mit einem Sicherungshaken, der umgeklappt werden konnte, um das Zuschnappen der Tür zu verhindern. Außerdem war auch ein Riegel vorhanden, aber um den kümmerte ich mich nicht. Ich drehte den Sicherheitshaken um und ließ die Tür einrasten. Auf diese Weise konnten die Patienten weiterhin hinaus, aber der Mann im Helm konnte nicht herein. Doch dieser Vorteil dauerte nur kurz. Ich wußte, daß ich nicht lange dort bleiben konnte. Nicht nur, weil die letzten Patienten herunterkommen würden, sondern auch, weil das Personal weggehen würde, da es inzwischen bereits zwanzig nach acht war. Ich hatte keinen triftigen Grund, und niemand hatte einen triftigen Grund, ausgerechnet am Fuße dieser Treppe zu stehen. Wenn man mich hier sähe, würde ich auffallen, man würde mich ausfragen und dann erkennen. Ich mußte weg.
Es gab nur einen einzigen Weg – nach oben.
Vom oberen Ende der Treppe führte ein kurzer, schmaler Gang zu einem breiten Korridor. Ein Mann in einem weißen Arbeitskittel – ein Arzt oder ein Krankenpfleger – ging an mir vorbei, als ich dort stand und mir über die Anlage des Gebäudes klarzuwerden versuchte.
Aber ich mußte weiter. Kurz entschlossen ging ich rasch zum Korridor und wandte mich nach links.
Ich hatte richtig geraten. Dies war der Weg zur Treppe, die zur Apotheke hinunter führte. Neben dem Aufnahmeschalter waren zwei durch eine Wand aus gezogenem Glas getrennte Wartezimmer und eine auffällige Eingangstür. Zu meinem Pech stand hinter dem Aufnahmeschalter eine große Magere in weißem Kittel und versprühte aus einer Art altmodischem Schießgewehr energisch ein Desinfektionsmittel.
Der Fußboden des Korridors war aus Gummibelag. Sie bemerkte mich erst, als ich fast auf gleicher Höhe mit ihr war. Ich durchquerte eine Wolke von Desinfektionsmitteln. Dabei murmelte ich ein beiläufiges »Gute Nacht« und steuerte auf die Tür zu.
Ich hatte meine Hand schon auf der Klinke, als sie mir nachrief: »Ah non, Monsieur, la porte est encore fermée. Il faut …«
Den Rest hörte ich nicht mehr. Die Tür war tatsächlich abgeschlossen, aber der Schlüssel steckte noch, und im Nu hatte ich auf- und wieder zugesperrt. Ich rannte über den Treppenabsatz und die Stufen hinunter.
Glücklicherweise besaß die Tür am Fuß der Treppe, die zur Apotheke führte, kein Schloß, nur einen pneumatischen Schließer.
Durch das runde Fensterchen, auf dem der Name des Ambulatoriums stand, konnte ich einen Teil des Ladens sehen und auch den Ausgang. An den Ladentischen warteten noch einige Kunden.
Die drei Minuten, die verstrichen waren, seit ich den Hof verlassen hatte, waren mir zwar nicht wie Stunden erschienen, aber doch wie zehn oder fünfzehn Minuten. Ich hatte als selbstverständlich angenommen, daß Brigadier Farisi die Apotheke schon längst verlassen hatte und seine Beschatter ihm gefolgt waren. Ich schlüpfte durch die Tür in den Laden und ging auf den Ausgang zu. Als ich fast dort war, sah ich Brigadier Farisi. Er stand am Tisch, wo die Rezepte ausgefertigt wurden, und wartete schön brav in der Reihe auf die Schlaftabletten, deretwegen er angeblich hier war. Neben ihm stand ein totenblasser Mensch in einem braunen Anzug. Er hatte eine herabhängende Oberlippe und die Augen eines verstörten Bluthundes – ohne Zweifel der Adjutant, Major Dawali.
Als die Schrecksekunde vorbei war, ging ich instinktiv von der Tür weg auf die andere Seite des Geschäftes wo man mich von der Straße aus nicht mehr sehen konnte, und vertiefte mich in das Warenangebot auf einem Ladentisch.
Zufällig war es Toilettenpapier zu reduziertem Preis. Da ich nicht endlos draufstarren konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, suchte ich insgeheim nach Alternativen. Der Tisch mit Parfüm war in der Nähe, aber dort stand eine Verkäuferin. Unauffällig wandte ich mich den OCCASIONS zu, Körbchen mit Plasticseifenschalen, Zahnbürstenhaltern, Spielzeug-Enten und Duschkappen. Eine Frau durchwühlte gerade die Seifenschalen. Ich tat, als gehörte ich zu ihr und langweilte mich. Dann aber, als sie ihre Wahl getroffen hatte, drehte ich mich um und starrte in einen Glaskasten voller Bandagen und elastischer Strümpfe ›pour
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