Eine begehrenswerte Lady
sich stolpernd auf den Heimweg gemacht hatte und die Schankmägde nach Hause gegangen waren. Er sah Squire Townsend zu seinem Pferd wanken; nach mehreren Versuchen gelang es ihm auch, sich in den Sattel zu schwingen und in der Dunkelheit zu verschwinden.
Lamb widerstand der Versuchung mannhaft, Townsend aus dem Sattel und in die Gasse zu zerren, um ihm eine Kostprobe von dem zu geben, was Luc erlitten hatte. Ich hätte ihn umbringen sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte, überlegte er und dachte an die Nacht in der Scheune des verlassenen Bauernhofes, als Townsends Freund Ainsworth Emily entführt hatte. Seine Lippen verzogen sich angewidert. Emilys Cousin hatte sich als derart erbärmlicher Schwächling entpuppt, dass weder er noch Barnaby sich dazu hatten überwinden können, ihn zu töten. Townsend wird schon bald genug an der Reihe sein , gelobte er sich.
Ein Geräusch machte ihn auf das Nahen eines anderen Mannes aufmerksam, und er verharrte regungslos. Als Nolles’ schmächtige Gestalt am Eingang der Gasse auftauchte, griff Lamb blitzschnell mit einer großen Hand nach ihm, packte ihn am Kragen und zog ihn mühelos von den Füßen und ins Dunkel. Nolles setzte zu einem Schrei an, aber kein Laut kam aus seiner Kehle, weil Lamb ihm mit der anderen Hand rasch den Mund zuhielt.
»Still, kleiner Mann«, murmelte Lamb. »Wir wollen keine weiteren Gäste auf unserer Gesellschaft, oder?«
Er fasste Nolles anders, hielt ihn jetzt vorn an seinem Hemd und presste ihn gegen die Wand des Ram’s Head . Nolles versuchte, sich aus dem Eisengriff zu befreien, aber trotz seiner heftigen Gegenwehr wich Lamb seinen Schlägen mühelos aus und hielt Nolles ungerührt weiter gegen die Wand der Wirtschaft gepresst, während seine Füße ein paar Zoll über dem Boden baumelten.
Lamb schüttelte ihn ungeduldig wie eine Katze eine Maus und verlangte:
»Hören Sie auf. Ein paar Minuten länger davon, und ich werde ernstlich wütend.« Er schloss seine Hand um Nolles’ Kehle und kam mit seinem Gesicht dicht vor das von Nolles und erklärte: »Und Sie werden nicht wollen, dass ich noch wütender auf Sie werde, als ich es bereits bin.«
Etwas in der sanften Stimme ließ Nolles erstarren, und er hörte auf zu zappeln.
»So ist es viel besser«, sagte Lamb und nahm seine Hand von Nolles’ Mund. Als der die Lippen öffnete, um um Hilfe zu rufen, legte er ihm einen Finger auf den Mund und warnte ihn: »Wenn Sie schreien, muss ich Ihnen, fürchte ich, wehtun … ziemlich heftig. Und glauben Sie mir, ich würde es genießen.«
Bis auf das fahle Licht der Mondsichel war die Nacht pechschwarz, und hier in der schmalen Gasse konnte man die Hand vor Augen nicht sehen. Nolles strengte sich an, aber er konnte nichts von seinem Gegenüber erkennen – einzig die Mühelosigkeit, mit der er gepackt worden war, verriet ihm, dass es sich bei seinem Angreifer um einen großen Mann handelte. Einen sehr großen und sehr gefährlichen Mann. Die überlegene Körpergröße und die gewählte Ausdrucksweise des Mannes verrieten ihm, um wen es sich handeln musste, das und das Wissen, dass die Joslyns die Einzigen in der Gegend waren, die es wagen würden, Hand an ihn zu legen.
»Sie sind Lamb, Joslyns Diener«, platzte er heraus.
»Viel wichtiger aber ist«, erwiderte Lamb, »dass ich Luc Joslyns Onkel bin. Und es will mir nicht gefallen, wenn giftiges Gewürm wie Sie denkt, Sie könnten ihn angreifen – irgendeinen Joslyn – und glauben, Sie kämen ungestraft davon.«
Nolles schluckte, war zornig, hatte aber auch entsetzliche Angst, dass die starke Hand um seine Kehle zudrücken könnte.
»W-was haben Sie vor?« Dreist fügte er hinzu: »Sie werden hängen, wenn Sie mich umbringen.«
Lamb lachte.
»Kleiner Mann, ich habe nicht die Absicht, Sie umzubringen.« Mit seiner freien Hand holte er das Messer hervor, das er stets bei sich trug, und legte es fast zärtlich an Nolles’ Wange. »Dieses Mal warne ich Sie«, sagte er und zog mit einer raschen Bewegung seines Handgelenks die Klinge über die Wange des anderen, wobei er einen langen Schnitt hinterließ.
Nolles schrie und wehrte sich wieder.
»Still«, verlangte Lamb. »Es reicht aus für eine Narbe, aber es wird Sie nicht umbringen. Es wird allerdings eine Ermahnung sein …« Lamb beugte sich dichter zu ihm und gelobte mit einer Stimme, die Nolles mit Entsetzen erfüllte: »Fassen Sie noch einmal jemanden von meinem Blut an, jemanden, der den Namen Joslyn trägt, und das nächste
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