Eine begehrenswerte Lady
Mal … das nächste Mal werde ich Sie töten.«
Lamb machte einen Schritt zurück, nahm seine Hand von Nolles’ Kehle und ließ ihn zu Boden fallen. Der blieb als ein Häuflein Elend auf der Gasse liegen, hielt sich die Wange und schluchzte, während Lamb mit der Dunkelheit verschmolz.
Gillian und Sophia hörten die Nachricht von Lucs Unfall am Sonntag, als sie mit Silas in die Kirche gingen. Sorgsam darauf bedacht, seinem Herrn kein Unbehagen zu bereiten, fuhr Silas’ Kutscher die Barutsche gemächlich zur Dorfkirche, und der Lakai, der mitgekommen war, half ihm vorsichtig beim Aussteigen. Die Ordways trafen nur Minuten vor Beginn des Gottesdienstes ein, sodass erst nach dessen Ende Gelegenheit war, sich mit anderen Kirchenbesuchern zu unterhalten. Die Menschen strömten nach draußen auf den Kirchhof und in den Herbstsonnenschein, und ein paar Nachbarn und Freunde blieben stehen, um sich nach Silas’ Genesungsfortschritt zu erkundigen.
Vikar Smythe und seine Gattin Penelope kamen zu Silas, Gillian und Sophia, die warteten, dass die kleineren Kutschen und Karren abfuhren und Platz machten für die größere Barutsche. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass Silas’ gebrochener Arm gut verheilte, wandte sich der Vikar mit einem freundlichen Lächeln an Gillian und Sophia und sagte:
»Sie müssen Mr. Ordways Nichten sein. Er hat von Ihnen immer sehr liebevoll gesprochen. Es ist gut, dass Sie ihn besuchen gekommen sind.«
Nach erfolgter Vorstellung wappnete sich Gillian für die Missbilligung, die gewöhnlich auf die Nennung ihres Namens folgte, aber der Vikar lächelte sie weiter überaus nett an. Seine Gattin mit den Sommersprossen und den roten Haaren, die mittlerweile seit fast dreißig Jahren mit ihm verheiratet war, trat vor und erklärte mit freundlich blickenden braunen Augen:
»Ich freue mich sehr, Sie endlich kennenzulernen. Bleiben Sie länger?« Sie lachte leise. »Ich hoffe sehr – ich bin Vorsitzende mehrerer Komitees, die alle darauf abzielen, die Lage der Armen und Verzweifelten zu verbessern. Wenn Sie daher länger hier weilen, müssen Sie, fürchte ich, damit rechnen, dazu eingeladen zu werden.«
»Dann freut es Sie sicher zu hören, dass sie beide eingewilligt haben, dauerhaft bei mir zu leben«, erklärte Silas mit einem breiten Lächeln.
»Ausgezeichnet!«, rief Penelope. Zu Gillian und Sophia sagte sie: »Ich habe Sie gewarnt – Sie dürfen nächste Woche mit meinem Besuch rechnen. Ich werde Sie bitten, sich an meinem Lieblingskomitee zu beteiligen.« Mit einem verschwörerischen Lächeln fügte sie hinzu: »Und alle anderen Damen werden ganz eifersüchtig sein, dass ich die Erste bin, die Ihnen die Aufwartung macht – und wenn ich darf, Sie zu dem Komitee zur Besserung der Lage der jungen Frauen von Broadhaven einlade. Es ist eine sehr verdienstvolle Arbeit. Und zudem werden Sie viele Damen der näheren Umgebung kennenlernen – Lady Joslyn und ihre Großtante Mrs. Cornelia Townsend sind zwei unserer aktivsten Mitglieder. Sie werden beide sehr mögen.« Sie klopfte sich mit einem Finger gegen die Unterlippe. »Allerdings kann es eine Weile dauern, bis die Viscountess sich wieder zu uns gesellt – sie erwartet ihr erstes Kind noch vor Jahresende.«
Der Vikar lachte über den Wortschwall seiner Frau und schaltete sich ein:
»Meine Liebe, ich denke, du überrollst sie.« Er blickte zu Gillian und Sophia und sagte: »Für jetzt möge ein herzliches Willkommen bei uns genügen.«
»Oh, natürlich.« Penelope lächelte beide Damen an. »Willkommen – und ich freue mich, unsere Bekanntschaft zu vertiefen.«
»D-danke«, stammelte Gillian, sowohl von Penelopes Redseligkeit als auch von ihrer unverhohlenen Freundlichkeit verwirrt. Vielleicht wussten der Vikar und seine Gattin nicht, wer sie war?
Ehe mehr gesagt werden konnte, kamen mehrere Mitglieder des Landadels dem Beispiel des Vikars folgend zu ihnen, um Silas zu begrüßen und Gillians und Sophias Bekanntschaft zu machen. Um den anderen nicht nachzustehen, traten auch Lord Broadfoot und seine Gemahlin sowie Sir Michael und dessen Gattin hinzu und wurden vorgestellt.
»Gut, Sie wieder auf den Beinen zu sehen«, teilte Lord Broadfoot Silas mit dröhnender Stimme mit, nachdem die Vorstellungsrunde abgeschlossen war. »Hab gehört, Sie hatten einen Unfall. Haben Sie je erfahren, wer Sie in den Graben gedrängt hat?«
Silas schüttelte den Kopf.
»Nein.«
»Es ist nur gut, dass Mr. Joslyn zufällig ausgerechnet da des Weges
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