Eine begehrenswerte Lady
erhöhte, dass sie ihren Ehemann erbost zur Rede gestellt und ihn dann ermordet hatte.
Während sie sich bereit machte, mit Sophia nach unten zum Dinner zu gehen, fragte sie sich, ob es überhaupt wichtig war, wie die Leute sie sahen. Beinahe alle hielten sie bereits für eine Mörderin, gestand sie sich bitter ein, was also machte es schon aus, wenn sie den Titel Hure hinzufügten?
Es tröstete sie nicht sehr, aber sie machte sich bewusst, dass wenigstens Silas wusste, was ihm unter Umständen bevorstand, wenn Canfield die hässliche Geschichte weitererzählte. Sie seufzte wieder. Niemand, der in die Geschichte verwickelt war, würde gut dastehen, aber sie würde das meiste abbekommen. Charles war tot, Winthrop war ein Mann und ein bekanntes Mitglied der guten Gesellschaft. Canfields Vater war ein Herzog – sein Anteil an der Verbreitung der Geschichte würde unter den Teppich gekehrt werden. Nein, sie würde diejenige sein, auf die man mit dem Finger zeigen, über die man klatschen würde.
Wenn sie an diesen Morgen zurückdachte und die Freundlichkeit, mit der der Vikar und seine Frau ihr begegnet waren, zog sich ihr Herz vor Schmerz zusammen. Sie wollte nicht, dass sie sie voller Verachtung anschauten oder sich abwandten, wenn sie sie sahen. Sie wollte, wurde ihr mit einem Anflug von Verzweiflung klar, Teil der Gemeinschaft sein und auf keinen Fall und unter keinen Umständen Skandal und Schande ins Haus ihres Onkels bringen. Und was war mit Stanley? Sie standen sich zwar nicht nahe, aber im Augenblick war sie voller Hoffnung, dass sie in Zukunft besser miteinander auskommen konnten als in der Vergangenheit. Sie schnaubte abfällig. Wenn Canfield redete, konnte sie sich von dieser Hoffnung verabschieden, so viel stand fest. Stanley würde nichts mit ihr zu tun haben wollen.
Das Dinner verlief in unbehaglicher Atmosphäre. Von den Unterströmungen schien Stanley nichts mitzubekommen und überraschte Gillian, indem er sich als charmanter Gesellschafter erwies und die Mahlzeit mit seinen amüsanten Geschichten aus London davor bewahrte, ein absolutes Desaster zu werden.
»Dem Himmel sei Dank für Stanley«, bemerkte dann auch Sophia, als sie sich auf das Sofa im Salon setzte, nachdem die Damen die Herren ihrem Port überlassen hatten.
Gillian nickte.
»Wenn er nicht gewesen wäre, wäre es ein schreckliches Essen gewesen. Ich hätte nie gedacht, dass ich Stanley je dankbar sein würde, aber nach heute Abend bin ich das.« Sie biss sich auf die Unterlippe und fügte hinzu: »Canfields Schweigen missfällt mir. Ich kann nicht glauben, dass er einfach geht.«
»Nein, da stimme ich dir zu.« Sophia runzelte die Stirn. »Mir hat es nicht gefallen, wie er dich angesehen hat, als er dachte, niemand würde hinschauen. Ich fürchte, in ihm hast du einen Feind. Er mag dich in seinem Bett haben wollen, aber ich nehme an, da du ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht hast, wird er sich auch irgendwie an dir rächen wollen.«
»Ich weiß«, antwortete Gillian. »Und solange er diese Schuldscheine hat …« Ihre Lippen zuckten. »Mein Ruf liegt in Canfields und Winthrops Händen.«
»Wegen Winthrop würde ich mir nicht den Kopf zerbrechen«, erklärte Sophia auf ihre sachliche Art. »Mich wundert, dass er überhaupt die Abmachung erwähnt hat, auch wenn er betrunken war – vor allem, da er nicht bekommen hat, was er wollte. Ich bin sicher, wenn Canfield die ganze widerwärtige Affäre auspackt, wird Winthrop, um seinen eigenen Kopf zu retten, alles rundweg abstreiten.«
Sophias Worte vermochten Gillian aufzuheitern, bis ihr wieder die Schuldscheine selbst einfielen. Niedergeschlagen bemerkte sie:
»Die Schuldscheine werden der Geschichte Glaubwürdigkeit verleihen.«
»Ach Unsinn«, winkte Sophia ab. »Alles, was Canfield hat, sind die Behauptungen eines Betrunkenen und die Schuldscheine eines Toten. Er wäre ein Narr und würde nur Verachtung ernten, wenn er anfängt, Gerüchte über etwas zu verbreiten, was angeblich vor zwei Jahren geschehen ist.«
Gillian schaute sie aus großen Augen erstaunt an.
»So habe ich das noch nie gesehen.«
»Nicht«, warnte Sophia, »dass es nicht unangenehm für dich würde, für uns, aber es würde auch nicht die absolute Katastrophe nach sich ziehen, mit der du rechnest.« Sie lächelte Gillian an. »Hör auf, Canfield als Unhold mit unendlicher Macht zu sehen. Das ist er nicht. Er ist ein grässlicher kleiner Wurm, den man unter dem Schuh zertritt, nicht mehr.«
Von den
Weitere Kostenlose Bücher