Eine besondere Herzensangelegenheit
blieb standhaft. Augen zu und durch! , befahl ich mir selbst, beugte mich vor und küsste ihn direkt auf den Mund.
Dann setzten auch meine restlichen dreizehn noch arbeitenden Gehirnzellen aus. Reglos wartete ich auf seine Reaktion. War er sprachlos?
Nicht ganz. Seine Reaktionsfähigkeit war schneller als die einer Froschzunge beim Fliegenfang. Sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. Und zu was für einem! Ich merkte, wie meine Knie auf einmal ganz zittrig wurden.
»Hi, ich bin Sebastian«, sagte er ganz lässig. »Freut mich auch, dich kennenzulernen.«
Ich starrte ihn entgeistert an. Erst nach gefühlten zehn Minuten war ich überhaupt zu einer Antwort in der Lage.
»Äh, ich bin – also, ich bin Isabelle«, stammelte ich, wobei ich mit jeder Zelle meines Gesichts die Schamesröte spürte, die darin aufstieg.
Dann setzte der Fluchtinstinkt ein. Schnell packte ich meine Tasche, presste sie wie einen Schutzschild vor mich und rannte aus dem Innenhof. Dabei rammte ich beinahe noch die Kellnerin, der es nur mit einem gewagten Schlenker gelang, ihr mit Gläsern vollgestelltes Tablett vor mir in Sicherheit zu bringen. Dank meines großzügigen Trinkgelds übte sie aber Nachsicht und schüttelte nur resigniert den Kopf, anstatt mir eine üble Verwünschung hinterherzuschicken.
Erst als ich schon fast bei meiner Wohnung angekommen war, schaffte ich es, mich langsam wieder zu beruhigen.
»Na, der Plan ist ja wohl völlig in die Hose gegangen«, seufzte ich leise.
Dann musste ich aber selbst kichern. Ich hatte es zwar nicht geschafft, diesen Sebastian in Sprachlosigkeit zu versetzen, aber durch meine Aktion war es mir immerhin gelungen, mich selbst für eine ganze Weile sprachlos zu machen. Wenn man es genau betrachtete, hatte ich die Aufgabe also eigentlich erfüllt. Oder nicht?
Ich war mir darüber noch nicht ganz im Klaren, aber eines wusste ich sicher: das Grottenolm würde ich nach diesem peinlichen Auftritt nie wieder betreten!
Kapitel 8
Den Rest der Woche überlegte ich immer wieder, ob meine Aufgabe nun als erfüllt galt oder nicht.
Sollte ich sie nicht erfüllt haben, hätte ich ja noch einen neuen Anlauf starten müssen, aber irgendwie bekam ich den Kopf dafür nicht frei. In allen möglichen – und unmöglichen – Situationen verfolgte mich die Erinnerung an meinen misslungenen Auftritt im Grottenolm .
Verdammt, warum musste der Kerl auch so ein charmantes Lächeln haben? Und dazu noch diese unverschämt blauen Augen, mal ganz abgesehen von seiner schlagfertigen und äußerst sympathischen Reaktion auf meinen Angriff.
Hätte er einfach ganz arrogant reagiert oder wäre so unverschämt wie Hassos Herrchen im Wald aufgetreten, wäre es für mich viel einfacher gewesen, die Aktion in die Rubrik lebenslang peinliche, aber schließlich doch überlebte Fettnäpfchen einzusortieren und unbefangen meiner Arbeit nachzugehen.
Schließlich entschied ich mich dafür, meine Herausforderung als gemeistert zu betrachten. Für einen zweiten Versuch hatte ich einfach nicht den Nerv.
Glücklicherweise sah Lily das genauso, als ich ihr von meinem peinlichen Auftritt berichtet hatte.
Ich denke, das können wir gelten lassen , schrieb sie. Bei mir ist es diese Woche auch ein bisschen nach hinten losgegangen.
Als ich deine Aufgabe gelesen habe, dachte ich zuerst, dass das ja eigentlich ganz einfach sein müsste. Also habe ich mir weiter gar keine Gedanken gemacht, sondern beschlossen, spontan eine günstige Gelegenheit auszunutzen. Normalerweise bin ich auch nicht unbedingt auf den Mund gefallen. Bloß diese Woche war es irgendwie ganz seltsam. Alle Leute kamen mir so verkrampft vor, keine Ahnung, ob das am Wetter lag oder an sonst irgendwas. Also hat sich schlicht keine Gelegenheit geboten, jemandem einen so dummen Spruch reinzuwürgen, dass es ihm die Sprache verschlägt.
Erst heute Vormittag, bei meinem Geschichtsseminar (ich studiere Mathe und Geschichte, ich weiß nicht, ob ich das schon erwähnt hatte), kam es dann zu einer ganz blöden Situation. Eine meiner Kommilitoninnen kommt aus China und hat einen ziemlich üblen Akzent. Jedenfalls ist sie sehr schwer zu verstehen. Und als sie heute an der Reihe war, ihre Seminararbeit zu präsentieren, war sie dazu noch total aufgeregt. Das Ergebnis bestand dann darin, dass keiner mitbekommen hat, über welches Thema sie geredet hat, geschweige denn, was sie dazu zu sagen hatte.
Und plötzlich fing der Beiermann – das ist der Seminarleiter – an,
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