Eine betoerende Schoenheit
hatte die Verwirrung noch übertroffen. Nun strahlte er jedoch Durchsetzungskraft und Zielstrebigkeit aus. Er hatte einen Entschluss gefasst, und nichts würde ihn davon abbringen.
In ihr hatte sich jedoch noch größere Angst als zuvor breit gemacht. „Worüber sollten wir denn dann reden?“
„Die Umstände natürlich. Irgendein Dilemma hält dich davon ab, deinen Namen zu gebrauchen. Gestehe mir zu, bei unserem Wiedersehen die Wahrheit zu erfahren, ohne dass du irgendetwas zurückhältst.“
Er hätte ihr genauso gut einen Eimer Teer und den Inhalt einer Bettdecke reichen können. „Das wird nichts bringen. Nichts wird sich ändern.“
„Du vergisst, wer ich bin. In welchen Schwierigkeiten du auch immer steckst, ich kann dir helfen.“
„Selbst der Duke of Lexington kann nicht jedes Hindernis mit einem Wink aus dem Weg räumen.“
„Nicht, wenn du mir nicht die ganze Wahrheit sagst. Aber wir werden uns treffen, und du wirst mir sagen, was dich zurückhält – wenigstens das schuldest du mir.“
Sie sah die Schlagzeile bereits vor sich: Duke of Lexington stranguliert Schönheit der guten Gesellschaft.
„Du willst doch mit mir auf Expeditionen gehen?“, fragte er sanft. „Habe ich dir je erzählt, dass ich zu Hause ein kleines Museum und Schubladen über Schubladen voller riesiger, versteinerter Zähne besitze, die dich doch ganz sicher sehr interessieren werden?“
Warum tat er ihr das an?
„Es gibt außerdem einen aufgegebenen Steinbruch auf meinem Grundstück, mit wundervoll ausgebildeten, unterschiedlichsten Gesteinsschichten und einer Fülle von Fossilien. Heirate mich, und das alles gehört dir.“
Nimm den Schleier ab , schrie eine Stimme in ihr. Nimm den gottverdammten Schleier ab. Beende es hier und jetzt.
Sie konnte es nicht. Sie konnte seine Wut nicht ertragen. Genauso wenig wie die Tatsache, dass seine Liebe mit großer Wahrscheinlichkeit erlöschen würde, sobald er ihr Gesicht das erste Mal sah. War es falsch, es bei ihrer Affäre zu belassen, nicht zuzulassen, dass etwas die wunderschönen Erinnerungen zunichtemachte?
„Sind Sie bereit, Madam?“, rief einer der Seeleute auf dem Beiboot.
Das Schiff war zur Rhodesia gerudert, hatte die Neuankömmlinge abgesetzt und nahm nun die letzten Passagiere an Bord, die an Land wollten.
„Ich muss gehen“, flüsterte sie.
„Die Dame braucht noch einen Moment“, sagte Christian.
Sein Tonfall ließ keine Widerrede zu. Der Schiffer berührte die Krempe seiner Kappe. „Aye, Sir.“
Ihr Liebhaber nahm ihre Hände in seine. „Ich werde nun auf Wiedersehen sagen, aber ich erwarte, dich in London zu treffen. Im Savoy, in zehn Tagen. Bring mir den gravierten Füller als Geburtstagsgeschenk mit, und wir stoßen auf unsere Zukunft an.“
Sie stieß einen langen, langgezogenen Atemzug aus. Sie hätte zu allem Ja und Amen gesagt, um endlich fortzukommen. „Gut.“
Er ließ sie aber nicht so leicht gehen. „Gibst du mir dein Wort?“
Womöglich scherte sich niemand anderes darum, ob eine schöne Frau auch Ehre besaß, sie aber hatte noch nie zuvor jemals ihr Wort gebrochen. Sie schloss die Augen. „Ja.“
Er beugte sich zu ihr herunter und küsste sie durch den Schleier auf die Wange. „Ich liebe dich, und ich werde auf dich warten.“
Lange nachdem der riesige Ozeandampfer hinter der schmalen Einmündung aus dem Hafen von Cork verschwunden war, stand Venetia noch immer am Pier.
Sie musste sich um die Überfahrt nach England kümmern und dafür ein Ticket kaufen, Fitz ihre neue Ankunftszeit telegrafieren und nicht zuletzt Träger für die Steinplatte finden, die eine Vierteltonne schwer war … und die Christian ihr geschenkt hatte. Eine dieser Aufgaben anzugehen hätte aber das Ende ihrer letzten Stunde als Baronin von Seidlitz-Hardenberg bedeutet.
Das Ende der glücklichsten Woche ihres Lebens.
Sie wusste nicht, wie lange sie dort stand. Sie merkte nicht einmal, dass es angefangen hatte zu regnen, bis ihr ein Träger einen Regenschirm brachte. Sie bedankte sich und ließ sich von ihm in die Unterkunft bringen, zurück in das perfekte Leben der charmanten Mrs Easterbrook.
KAPITEL 10
***
Mein Liebling,
ohne Dich ist die Rhodesia eine Wüste.
Ich habe den Großteil des Tages auf dem Achterdeck verbracht, obwohl Queenstown schon lange nicht mehr am Horizont zu sehen war. Meine Hülle sitzt hier, am Schreibtisch – auf dem wir gestern noch Erinnerungen schufen –, aber der Rest ist in Irland, bei Dir.
Vor mir liegt eine
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