Eine betoerende Schoenheit
so lange auf Wahrheit und Rationalität getrimmt gewesen war, erwies sich jetzt als durchaus fähig zu der Art von Selbstbetrug, die er zuvor verabscheut hatte. Fast eine ganze Woche lang mied er wie ein Einbrecher, der auf Zehenspitzen durch die Nacht schlich, jegliche Erinnerung und Einsicht, die auch nur die geringste Beunruhigung hätte auslösen können.
Dann brach alles mit einem Mal über ihn herein. Die Logik war unwiderlegbar. Er konnte die Wahrheit nicht länger leugnen. Die Beweise hatten sich Zeit gelassen, warteten darauf, dass sein Geist in einen Zustand trügerischer Sicherheit versank, um dann einen Frontalangriff auf seine schlummernden Abwehrmechanismen zu unternehmen.
Es hatte nie eine Baronin von Seidlitz-Hardenberg gegeben.
Es war immer nur Mrs Easterbrook gewesen, und er hatte ihr alles gestanden.
Alles.
Kein Wunder, dass sie so begierig darauf gewesen war, die Rhodesia zu verlassen.
Sie hatte ihm alles Wissen um seine innere Unruhe entlockt. Es hatte nichts mehr zu erfahren gegeben. Kein Wunder auch, dass sie seither jedes Mal, wenn er sie traf, so selbstzufrieden gewesen war. Sie würde ihn auf ewig ansehen und lachen können, da sie ja nun wusste, wie sehr und wie umfassend sie ihn sich untertan gemacht hatte.
Ihr Plan war schäbig, der Erfolg jedoch überwältigend. Er hatte mit ganzem Herzen mitgemacht und sie mit allem geliebt, was in ihm gut und wertvoll war.
Er warf die goldgeprägten Speisekarten, die er für das Abendessen im Savoy hatte drucken lassen, ins Feuer und bedeckte die Asche mit allen Briefen, die er ihr geschrieben hatte, einen für jeden Tag bis zu dem Abendessen und den letzten, während er auf die Rückkehr der Rhodesia aus Hamburg wartete. Er konnte es nicht recht glauben: Er hatte noch geschrieben, nachdem sie ihr Versprechen gebrochen und sein Geschenk zurückgegeben hatte. Er hatte erst aufgehört, nachdem er im Museum die Plakette mit ihrem Mädchennamen gesehen hatte.
Er stocherte mit dem Schürhaken in den brennenden Briefen herum.
Der Schürhaken lag schwer und stabil in der Hand. Er wollte etwas, nein, sehr vieles damit zerschlagen: das marmorne Kaminsims, den goldgerahmten Spiegel, die Sèvres-Vasen.
Er wollte den Raum demolieren, bis nur noch Schutt und Trümmer übrig waren.
Aber er war Christian de Montfort, der Duke of Lexington.
Er stellte seinen Schmerz nicht offen zur Schau. Er gab sich nicht kindischen Wutanfällen hin. Er würde Haltung und Würde bewahren, auch wenn man sein Herz durch einen Wald aus Messern gezerrt hatte.
Es klopfte an der Tür. Christian runzelte die Stirn. Er hatte dem Personal deutlich gesagt, dass er nicht gestört werden wollte.
Sein Personal war gut ausgebildet und höchst kompetent. Er konnte nur annehmen, dass ein Notfall vorlag.
„Mrs Easterbrook ist hier, Euer Gnaden“, sagte Owens, einer der Lakai.
Sein Herz raste. War sie gekommen, ihn zu verspotten?
„Hatte ich nicht deutlich gesagt, dass ich heute Nachmittag für niemanden zu Hause bin?“
„Doch, Sir“, sagte Owens entschuldigend. „Aber Mrs Easterbrook sagte, Sie würden sie sehen wollen.“
Natürlich, wie konnte jemand mit ihrer strahlenden, hypnotischen Schönheit vor Augen annehmen, er wolle sie nicht sehen?
Owens zu tadeln würde nichts bringen. Dass sie hier auftauchte, zu ihrem Betrug stand, war ein Akt der Freundlichkeit, ob sie das begriff oder nicht. Sollte ihre Affäre doch heute mit einem völligen Bruch enden, alles ans Tageslicht kommen, alle Illusionen und falschen Hoffnungen sich vor dem Erschießungskommando der Wirklichkeit an der Wand aufreihen.
„Ich werde sie hier empfangen“, erklärte er, „in fünf Minuten.“
Solange würde er mindestens brauchen, um sich zu sammeln.
Venetia war leicht überrascht, dass Christian bereit war, sie zu empfangen – leicht, weil sie nicht imstande war, außer Entsetzen, einem aufgedunsenen Ding mit Klauen in ihrem Magen und Tentakeln in ihrer Kehle, viel zu empfinden.
Die paar Tage fernab von London waren gut für ihre Gesundheit gewesen – eine spartanischere Ernährung hatte geholfen, ihren Magen zu beruhigen und weitere Anfälle von Morgenübelkeit zu verhindern –, aber ihre Besorgnis hatte sich bei der Abwägung der verschiedenen Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung standen, nur gesteigert.
Sie hatte das Glück, sowohl ausreichend Mittel als auch Bewegungsfreiheit zu besitzen. Sie konnte Herbst und Winter im Ausland verbringen, heimlich das Kind auf die Welt bringen und
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