Eine betoerende Schoenheit
Stapel Einladungen fertiggeschrieben hatte. Das Nächste, was sie wusste, war, dass sie auf dem Perserteppich lag und ihr Dienstmädchen panisch mit einem Riechsalzfässchen vor ihr herum wedelte.
Der Arzt war leider schon unterwegs.
Christian schickte den geschlossenen Einspänner fort, der ihn an der Waterloo Station erwartete, als er London erreichte.
Er wollte nicht zurück in sein Stadthaus. Er hätte gar nicht aus seinem Privatwaggon aussteigen, sondern dafür sorgen sollen, dass er bis nach Edinburgh fuhr, um ganz Großbritannien zwischen sich und die Wahrheit zu bringen, die an ihm zu nagen begann.
Also überquerte er die Themse und ging weiter, ohne zu wissen oder darüber nachzudenken, wohin.
Engländerin. Schön.
War es möglich, diese Worte wieder zu vergessen? Zur Hölle mit wissenschaftlicher Vorgehensweise und der Forderung, jeden Stein umzudrehen. Verdammt sollte seine indignierte Selbstgerechtigkeit sein, die nicht eher ruhen würde, als bis er seine Antworten hatte.
Er versuchte es mit Selbstironie: Er zog voreilige Schlüsse. Engländerin plus schön waren nicht gleich Mrs Easterbrook. Außerdem war das Schönsein Mrs Easterbrooks einziger Lebenszweck. Sie würde genauso wenig ihr Gesicht bedecken, wie die Königin abdanken.
Irgendwann merkte er, wie hungrig er war, und betrat einen Teesalon, nur um wie angewurzelt stehenzubleiben. Eine ganze Wand des Teesalons, dessen Gäste in erster Linie Damen waren, war bedeckt mit gerahmten Fotografien von Schönheiten der Gesellschaft.
Mrs Easterbrook war darunter.
Auf dem Foto sah man nur wenig von der Intensität und schieren Präsenz ihrer Schönheit. Sie war nur ein hübsches Gesicht in einem Meer hübscher Gesichter und wäre ihm vielleicht nicht einmal gleich aufgefallen, hätte sie nicht diesen Schirm über der Schulter getragen.
Dunkle, konzentrische Achtecke auf weißer Spitze.
Miss Redmayne, eine in Paris ausgebildete Ärztin, setzte sich an Venetias Bett. Millie und Helena standen an der anderen Seite.
„Miss Fitzhugh sagt, Sie seien vor etwa einer Stunde ohnmächtig geworden und hätten seit Tagen Leibsschmerzen.“
„Richtig.“
Miss Redmayne legte die Hand auf Venetias Stirn und fühlte ihren Puls. „Kein Fieber. Ihr Puls ist in Ordnung, wenn auch etwas langsam. Gibt es etwas, das zu dieser Ohnmacht geführt haben könnte?“
„Nicht, dass ich wüsste. Ich habe mich vermutlich nie von den Folgen des Steinbutts erholt.“
„Haben Sie den Steinbutt auch gegessen, Miss Fitzhugh?“
„Ja.“
„Hat er Ihnen Probleme bereitet?“
„Nein, das könnte ich nicht behaupten.“
Miss Redmayne wandte sich an Millie und Helena.
„Lady Fitzhugh, Miss Fitzhugh, würden Sie uns bitte allein lassen? Ich muss die Patientin vielleicht genauer untersuchen.“
„Natürlich“, sagte Millie ein wenig erstaunt.
Als sie und Helena den Raum verlassen hatten, deutete Miss Redmayne auf die Bettdecke. „Darf ich?“
Ohne die Antwort abzuwarten, schlug sie sie zurück und drückte leicht auf Venetias Unterleib.
„Hmmm“, sagte sie. „Mrs Easterbrook, wann war der erste Tag Ihrer letzten Menstruation?“
Die Frage, die Venetia gefürchtet hatte. Sie biss sich auf die Unterlippe und nannte ein fast sechs Wochen zurückliegendes Datum.
Miss Redmayne blickte nachdenklich drein.
„Aber das kann nicht sein“, sagte Venetia flehentlich. „Ich bin unfruchtbar.“
„Das Problem könnte durchaus nicht bei Ihnen, sondern bei Ihren verstorbenen Gatten gelegen haben, Mrs Easterbrook. Wenn ich so offen fragen darf, hatten Sie seit Ihrer letzten Monatsblutung einen Geliebten?“
Venetia schluckte. „Ja.“
„Dann fürchte ich, Sie sind schwanger, so ungern Sie diese Diagnose auch hören mögen.“
Sie hatte es seit dem ersten Anfall von Morgenübelkeit gewusst, oder? Sie hatte Umgang mit genügend anderen verheirateten Frauen gehabt, um von diesem Symptom gehört zu haben.
Doch solange es ihr gelungen war, sich um eine offizielle Bestätigung ihres Zustandes zu drücken, hatte sie ignorieren können, was ihr Körper ihr zu sagen versuchte.
Vorbei.
„Miss Redmayne, sind Sie sicher, dass ich keinen Tumor oder so etwas habe?“
„Ziemlich“, sagte Miss Redmayne. Sie war sehr teilnahmsvoll, doch die Autorität in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
Venetia grub ihre Finger in das Bettlaken. „Wie lange, bis mein Zustand sichtbar wird?“
„Manchen Frauen gelingt es, ihn mit Hilfe von Spezialkorsetts und dergleichen bis weit in
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