Eine bezaubernde Erbin
unmissverständlich.
Hastings trommelte mit den Fingern auf dem Knauf seines Gehstocks. Venetia rückte ihren Hut zurecht. Helena zupfte an der Brosche an ihrem Hals. Isabelle erkannte die Zeichen vielleicht nicht, aber sie zeugten von Unbehagen, ganz besonders bei seinen Schwestern.
„Mrs Englewood wird in ein oder zwei Tagen zu ihren Schwestern nach Aberdeen reisen“, erklärte Fitz.
„Oh, wie wunderbar“, bemerkte Venetia. „Wirst du dort eine Weile bleiben? Schottland ist ganz bezaubernd zu dieser Jahreszeit.“
Sie klang hoffnungsvoll.
„Nein, höchstens eine Woche. Nachdem die Saison vorbei ist, werde ich sie für längere Zeit besuchen, aber jetzt würde mir London zu sehr fehlen.“ Sie sah erneut zu Fitz, und es kümmerte sie nicht, dass sie ihm im Grunde genommen ganz unverhohlen schöne Augen machte – sie fand es vermutlich sogar aufregend.
Vielleicht hatte Fitz Bescheidenheit schon lange hinter sich gelassen und war geradewegs zu Prüderie weitergegangen. Aber Isabelle hatte Kinder und er eine Ehefrau. Sie sollten mehr Vorsicht walten lassen, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigten, selbst vor seiner Familie und engsten Freunden.
Dann sah er Millie, die gerade aus ihrer Kutsche stieg und nach links und rechts sah, ehe sie die Straße überquerte. Ihr Blick traf seinen in genau diesem Moment. Aber die Freude erstarb auf ihrem Gesicht, als sie sah, wie Isabelle umringt von Mitgliedern seiner Familie neben ihm ging.
Wo sie hätte sein sollen.
Sie blinzelte einige Male, und auf ihrem lieben, zarten Gesicht zeigte sich, wie sehr sie sich bemühte, die Fassung zu bewahren. Sie senkte den Kopf, drehte sich um und stieg wieder in die Kutsche.
Sie fuhr davon, ein unscheinbares Gefährt in einem Meer aus Kutschen.
Alice war an ihrem üblichen Platz auf dem Kaminsims in Fitz‘ Arbeitszimmer, die Augen geschlossen, den Schwanz ordentlich um ihren rundlichen, kleinen Körper gelegt. Die Glasglocke, die sie vor Staub und Feuchtigkeit schützte, war ein Hinweis darauf, dass sie schon vor langer Zeit aus dem Diesseits geschieden war, aber sie sah noch immer so lebendig aus, dass Millie glaubte, sie müsse sich jeden Augenblick rühren und aufwachen.
„Ich habe überall im Haus nach dir gesucht“, ertönte die Stimme ihres Mannes hinter ihr. „Warum bist du nicht zu uns gekommen?“
Millie drehte sich nicht gleich um. Sie brauchte eine Minute, um sich zu sammeln. Das Bild der Fitzhughs, wie sie den Bahnhof mit Isabelle in ihrer Mitte verließen, als ob die vergangenen acht Jahre nie geschehen wären, stand ihr noch immer zu deutlich vor den Augen. „Du bist früh zurück“, sagte sie. „Ich dachte, ihr wolltet alle noch beim Herzog Tee trinken.“
„Das schließt dich mit ein, und ich bin hier, um dich zu holen.“
Ausgerechnet, als sie ihren Pakt am liebsten ins Feuer geworfen und verbrannt hätte, hatte er gerecht sein wollen. Ohne Zweifel wurde er auch jetzt von seinem Bedürfnis getrieben, ihr ihren rechtmäßigen Platz zurückzugeben. Aber sie wollte ein untrennbarer Teil seines Herzens sein und nicht nur von seinem Gewissen berücksichtigt werden. „Es wäre sicherlich unangenehm, wenn Mrs Englewood da ist.“
„Sie ist nicht dabei.“
Er gesellte sich zu ihr ans Kaminsims. Sie konnte auf der Schulter seines Mantels dunkle Tropfen sehen. Es hatte zu regnen begonnen, als sie ihr Haus erreicht hatte. Und dann, ganz unerwartet, legte er seine Hand auf den Rücken und berührte mit seinen Lippen ihre Wange.
Die Geste hatte eher etwas Freundschaftliches als etwas Intimes, aber sie grüßten einander gewöhnlich nicht so. Sie nickten einander zu und lächelten einander an, aber sie gaben sich keine Küsse auf die Wange. Die Berührung seiner Lippen hinterließ eine eigenartige Wärme auf ihrer Haut.
Er drehte die Glasglocke um ein paar Grad. „Ich habe dich das nie gefragt, Millie, aber warum hast du Alice ausstopfen lassen?“
Manchmal vergaß sie, dass es ihre Idee gewesen war. Mehr noch als nur eine Idee: Sie war es gewesen, die den Tierpräparator damit beauftragt hatte. „Du hast sie so sehr geliebt, ich hätte es nicht ertragen können, sie einfach zu begraben.“
Er schwieg, während er mit dem Daumen über Alice‘ Namensplakette fuhr.
„Vermisst du sie noch?“, fragte sie.
„Nicht so sehr wie früher. Und wenn sie mir fehlt … sie ist eine Erinnerung an meine Schulzeit, und wenn ich an sie denke, dann auch daran, wie es war, siebzehn und sorgenfrei zu
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