Eine bezaubernde Erbin
es noch bis Calais?“
„Etwa elf Kilometer.“
Der Himmel war wolkenlos, aber sie machte sich dennoch Sorgen. „Ich hoffe, der Kanal bleibt nebelfrei. Das letzte Mal musste ich über Nacht hierbleiben.“
Er berührte kurz ihre Hand. „Du wirst sie wieder sehen. Ich bringe dich rechtzeitig zu ihr.“
Doch das Wetter wollte nicht mitspielen. Dichter Nebel lag über dem Kanal, alle Fähren verblieben im Hafen.
„Wie lange noch, bis er sich verzieht?“, fragte Millie besorgt, nachdem Fitz mit mehreren Fährmännern und Fischern gesprochen hatte.
„Niemand glaubt daran, dass er sich noch heute lichtet. Die Hälfte erwartet keine Besserung vor morgen Nachmittag, und der Rest glaubt, es ist die Art Nebel, die mindestens achtundvierzig Stunden hängen bleibt.“
Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. „Aber wir können nicht so lange warten. Sie hält vielleicht nicht so lange durch.“
„Ich weiß“, sagte er.
„Warum ist eigentlich der Tunnel unter dem Kanal noch nicht gebaut? Davon reden sie doch schon, solange ich denken kann.“
Er blickte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Dann sah er zu ihr und betrachtete sie eindringlich. „Wenn es dir nichts ausmacht, dann können wir den Kanal in der Luft überqueren.“
„ In der Luft? “
„Erinnerst du dich an das Luftschiff, das ich gesehen habe? Man hat den Kanal bereits in einem Ballon überflogen, aber es ist ein gefährliches Unterfangen – besonders wenn man von Ost nach West fliegt.“
Sie starrte ihn einen Augenblick lang an. Sie war noch nie in einem Fluggerät gewesen, hatte noch nicht einmal Jule Vernes Fünf Wochen im Ballon gelesen. Der Gedanke, mehrere hundert Meter über dem Erdboden zu sein, war nicht gerade verlockend, aber verzweifelte Zeiten verlangten nach verzweifelten Taten.
„Also, worauf warten wir noch?“
Das Luftschiff sah äußerst merkwürdig aus. Millie kannte die Glühbirnenform der Heißluftballons, aber der Ballon des Luftschiffs sah eher wie eine prall gestopfte Wurst aus. Darunter hing ein rechteckiger Weidenkorb. Aus dem hinteren Teil des Korbes ragten zwei lange Stangen mit je einem Propeller am Ende, dessen Flügel so lang waren wie Millie groß.
„Ja, sie ist so sicher, wie es nur geht“, bestätigte der Pilot, Monsieur Duval, Fitz auf Französisch. „Die Luftschrauben werden von Batterien angetrieben, nicht von einem Verbrennungsmotor, wie die Deutschen es versuchen. Warten Sie es nur ab, die stecken sich noch selbst in Brand.“
Millie war sich nicht sicher, ob sie das jetzt überhaupt hätte hören wollen, selbst wenn sie keinen Verbrennungsmotor hatten. Allmählich begann sie Bridget zu beneiden, die in Calais bleiben wollte, bis sie den Kanal mit einem Dampfschiff überqueren konnte.
„Wie erhitzen Sie die Luft?“, fragte sie den Piloten.
„Die Luft wird nicht erhitzt. Wir haben Wasserstoff im Ballon, Madame.“
„Wasserstoff ist leichter als Luft, nicht wahr? Wie kommen wir wieder runter?“
„Ah, eine wirklich kluge Frage, Madame. Es gibt zwei Luftsäcke im wasserstoffgefüllten Ballon, die wir füllen und leeren können. Und wenn sie voll sind, überwiegt das Gewicht des Luftschiffs den Antrieb durch den Wasserstoff ein kleines bisschen, und wir können ganz sanft landen.“
Sie sah zu Fitz.
„Nur, wenn du damit fahren möchtest“, sagte er. „Aber du musst dich bald entscheiden, sonst wird es dunkel, bevor wir die englische Küste erreichen.“
Sie atmete langsam aus. „Dann beeilen wir uns lieber.“
Sobald sie in dem Korb, den Monsieur Duval Gondel nannte, Platz genommen hatten, begann sein Assistent damit, Säcke mit Erde über Bord zu werfen, während Monsieur Duval den Batterieantrieb zum Leben erweckte. Die Luftschrauben rotierten zunächst träge, gewannen aber schnell an Geschwindigkeit.
Der Korb hob sich so sanft, dass Millie, die ganz gefesselt davon war, wie Monsieur Duval zwischen Ventilen und Messgeräten hantierte, erst bemerkte, dass sie sich in der Luft befanden, als sie bereits knapp einen Meter über dem Boden schwebten.
„Das ist deine letzte Gelegenheit, noch abzuspringen“, murmelte Fitz.
„Für dich auch“, sagte sie.
„Ich hab keine Angst davor, in den Ärmelkanal zu fallen.“
„Hm, ich hingegen habe ziemliche Angst davor, in den Ärmelkanal zu fallen. Aber wenn ich jetzt springe“, sie sah nach unten, wo sich der Boden schon erheblich von ihnen entfernt hatte, „breche ich mir mit Sicherheit alle Knochen. Dass ich schwimmen muss,
Weitere Kostenlose Bücher