Eine bezaubernde Erbin
Spieluhr, die ich dir zu deinem siebzehnten Geburtstag geschenkt hatte? Sie sieht viel besser aus, als ich es in Erinnerung habe.“
Er hob den Deckel der Spieluhr. Es ertönten dieselben dünnen, leicht misstönenden Klänge. Sie funktionierte noch, wer hätte das gedacht?
Sie beobachtete ihn. Aber als er zu ihr schaute, wandte sie sofort den Blick ab.
„Wo ist deine Zofe?“
„Ich habe ihr gesagt, dass sie nicht auf mich warten soll.“
Sie ließ ihren Fächer auf den Sitz eines Sessels in ihrer Nähe fallen. Die Geste war entschlossen zwanglos. Doch während sie neben der gepolsterten Armlehne stand, konnte er sehen, dass sie krampfhaft schluckte. Der Anblick – die Aussage dahinter – ließ sein Blut kochen.
„Es wird nicht unangenehm werden“, sagte er. „Ich werde sichergehen, dass du es genießt.“
„Das will ich dir auch raten“, erwiderte sie nicht ohne Schärfe. „Über die Jahre ist mir einiges über dein amouröses Können zu Ohren gekommen. Wenn ich es morgen nicht von den Dächern pfeifen will, werde ich zutiefst enttäuscht sein.“
Er lächelte und stellte die Spieluhr zurück auf das Kaminsims.
Ein paar Sekunden lang starrte sie reglos ihren fallengelassenen Fächer an. Dann ging sie zum Lichtschalter und schaltete den elektrischen Wandleuchter aus. Die Lampe im Schlafzimmer war angelassen worden und leuchtete ihnen den Weg. Sie ging an ihm vorbei und verschwand darin.
Endlich ist es also so weit.
Die ganz gewöhnliche, eheliche Aufgabe. Die Pflicht, die er zu lange aufgeschoben hatte. Warum also fühlte er sich, als würde er von einer Welle ins Meer hinausgerissen, als er zum Schlafzimmer ging? Als müssten die Gezeiten und Strömungen dort ganz anders sein, als das, was er in den ruhigen Gewässern der Flussmündung ihrer Ehe bislang kannte?
Sie schaltete das Licht aus, sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Er sollte wohl nicht allzu überrascht sein – er hatte es schließlich mit einer Jungfrau zu tun. Aber sie kannten einander so gut, dass sie eigentlich nicht hätte schüchtern sein sollen.
„Möchtest du nicht, dass ich sehe, was ich tue?“
„Nein.“
Er lächelte. „Nicht mal, wenn ich mit kniffligen Verschlüssen deines Kleides kämpfen muss?“
„Es gibt hier nichts, was dir nicht schon oft genug anderswo begegnet wäre.“
Die Dunkelheit war undurchdringlich. Die Fenster waren geschlossen und mit Fensterläden verriegelt, die Vorhänge fest zugezogen.
„Das ist das erste Mal“, murmelte er, „dass ich im Dunkeln herumtasten muss. Du solltest ein Loblied singen, damit ich dich finde.“
Sie schnaubte. „Ein Loblied?“
„Ihr himmlischen Heerscharen, frohlocket: Endlich werde ich etwas Gottgefälliges tun, etwas, das von Jesu Liebe für seine Kirche Zeugnis ablegt, et cetera, et cetera.“
„Was soll ich singen? ‚Hosanna in der Höhe‘? Vielleicht wäre unser Pfarrer ja stolz auf uns, wenn wir auch noch das Vaterunser sprechen?“
Er wusste jetzt, wo sie war: beim Frisiertisch. Sie zuckte zusammen, als seine Hand ihre Schulter fand. Hatte sie nicht gehört, wie er sich ihr im Dunkeln genähert hatte?
„Gut, du hast mich also gefunden. Jetzt bist du dran, dich zu verstecken, und ich werde dich suchen“, sagte sie mit dünner Stimme.
„Ein andermal. Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen, Lady Fitzhugh.“
Sie trug lange Ziegenlederhandschuhe, die bis über ihre Ellenbogen reichten. Sie waren am oberen Ende mit drei Elfenbeinknöpfen geschlossen. Er öffnete die Knöpfe – einen, zwei, drei – schob einen Handschuh hinunter und zog ihn ihr aus.
„Ich habe vergessen, dir zu sagen, dass du heute Abend besonders reizend aussahst“, sagte er und fuhr dabei mit seiner Handfläche über ihren jetzt bloßen Arm. So vieles an ihr war ihm ein Rätsel.
„Danke“, erwiderte sie kaum hörbar.
Er entfernte ihren anderen Handschuh. „Habe ich dir jemals gesagt, dass ich, als wir heirateten, nie so recht wusste, wie du aussahst? Jedes Mal, wenn ich dich sah, schien dein Gesicht sich verändert zu haben. Und als du aus Amerika zurückkamst, musste ich zweimal hinsehen, um sicher zu gehen, dass du es warst.“
Die Rüschen an ihrem Kleid streiften seinen Handrücken.
„Also … wäre ich etwas länger weggewesen, hätte ich an dir vorbeigehen können, ohne dass du mich erkannt hättest?“
„Das bezweifle ich. Deine Augen ändern sich nicht. Deine Art zu gehen ändert sich nicht. Und deine Schritte … ich kann an ihnen immer
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