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Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Weg vom Küchenfenster aus sehen, und manchmal, wenn ich hinausschaue, denke ich, er muss jeden Augenblick über den Berg herunterkommen, und dann stehe ich und warte… Es war ein sonniger Tag. Ich habe die Blumen hinausgestellt an dem Nachmittag…« Sie verstummte, saß schweigend, verloren in Erinnerungen. Dann kehrte sie zurück in die Gegenwart, sah John an. »Möchtest du sein Zimmer sehen?«
    John musste schlucken. »Ja«, sagte er. »Gern.«
    Es war ein großes Zimmer im ersten Stock, aber so voll gestopft mit alten, dunklen Großvatermöbeln und einem mächtigen schwarzen Klavier, dass es trotz allem beengt wirkte. Auf dem Klavier lag ein Stapel Noten und darauf das Etui mit der Querflöte, geöffnet, die silberne Flöte halb von einem Tuch verdeckt. An der Wand darüber hing ein Bilderrahmen mit einer Urkunde darin.
    »Das ist der Mathematikpreis, den er gewonnen hat«, erklärte Leona, die die Arme um ihren Körper verschränkt hielt, als müsse sie sich selbst festhalten. »Außerdem hat er fünfhunderttausend Lire bekommen und gleich wieder ausgegeben für Bücher.« Eine kurze Handbewegung zum Bücherregal. John neigte den Kopf, versuchte die Titel zu entziffern. Viel Mathematik, Astronomie, ein Handbuch der Wirtschaft und ein zerlesenes Exemplar des Berichts an den Club of Rome.
    »Darf ich das mal herausnehmen?«, bat er.
    »Ja, ja. Darin hat er viel gelesen, schon als er noch viel jünger war. Ich weiß nicht mal, woher er es hatte.«
    John schlug das Buch auf. Auf jeder Seite waren zahllose Sätze markiert, in verschiedenen Farben unterstrichen, Bemerkungen an den Rand oder in die verschiedenen Schaubilder hinein gekritzelt. Er blätterte umher. Sein Italienisch war nicht flüssig genug, um den Inhalt überfliegen zu können, alles was er lesen konnte waren die Zwischenüberschriften. Aber das reichte schon, um zu erkennen, dass Lorenzo sich schon seit Jahren mit genau den Fragen beschäftigt hatte, auf die er, John, erst vor kurzem überhaupt gestoßen war.
    Das ganze Buch war durchgearbeitet, von vorne bis hinten. John fühlte sich leer und traurig, wie ein Betrüger, der seiner unvermeidlichen Entlarvung entgegensah. Hier war ein grässlicher Fehler passiert. Das Schicksal hatte sich geirrt. Ein Unwürdiger hatte das Vermögen geerbt, jemand, der außer Stande war, damit etwas Vernünftiges anzufangen.
    Ein Stück Papier glitt aus den Seiten und fiel zu Boden. John hob es rasch auf. Ein Zeitungsausschnitt. Ein blass gewordenes Bild zeigte einen kleinen Jungen von zwölf oder dreizehn Jahren vor einer großen Tafel, die über und über vollgekritzelt war mit Kurven und mathematischen Formeln. Der Junge hielt die Urkunde in der Hand, die jetzt hier gerahmt an der Wand hing, und sah ebenso ernst wie selbstsicher in die Kamera.
    »Ach, hier hat er ihn hingetan!«, rief Leona und nahm das Papier an sich. »Ich habe den Ausschnitt überall gesucht und nicht gefunden. Danke.«
    Der Anblick Lorenzos hatte John richtiggehend erschüttert. Nicht genug, dass er so intelligent und gebildet gewesen war, auf dem Foto strahlte er auch Selbstgewissheit und Entschlossenheit aus, Eigenschaften, die sich John für sich selbst immer gewünscht hatte. Er hatte kein richtiges Wort dafür. Souveränität vielleicht. Jemand, der sein Leben im Griff hatte. Vielleicht sogar Charisma.
    Er verstand jetzt, warum die Vacchis sich ihrer Sache so sicher gewesen waren, nur zu gut. Was ich nicht verstehe, ist, wie sie in mir den wahren Erben sehen können, dachte er bitter. Aber wahrscheinlich taten sie das nicht wirklich. Er kam sich vor wie ein Idiot. Ein Träumer war er, genau wie seine Mutter es immer gesagt hatte, ohne Ziel und ohne Antrieb. Und ganz gewiss war er nicht der, den die Prophezeiung meinte. Er trug nur Lorenzos Anzüge, fuhr sein Auto, wohnte in seinem Haus.
    Leona öffnete das Rollverdeck eines wuchtigen Sekretärs. Eine Schreibmaschine kam zum Vorschein, klein und schwarz, fast ein Museumsstück. »Er hat viel hier gesessen und geschrieben. Er wollte natürlich einen Computer, wie alle Jungs. Die Maschine hat er von seinem Großvater geerbt.« Sie strich mit der Hand über das Gerät.
    »Was hat er denn so geschrieben?«, fragte John, mehr aus dem Gefühl heraus, dass sie von ihm erwartete, dass er das fragen würde. Am liebsten wäre er davongerannt. Hätte sich in Luft aufgelöst.
    »Alles Mögliche, ich weiß nicht. Irgendwann werde ich die Sachen durchsehen. Er hat mir mal ein Theaterstück gezeigt. Ich

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