Eine Billion Dollar
hier gewesen war. Zwei Jahre war das jetzt her, ziemlich genau. Ein einträglicher Besuch war das gewesen, trotzdem hatte sie alle Anfragen, die danach gekommen waren, abgelehnt, eigentlich ohne zu wissen, warum.
Drei Stunden später war es vorbei. Man hatte ihr gesagt, man werde sie anrufen, aber in einem Tonfall, den sie inzwischen zu deuten wusste. Sie trat durch die große gläserne Drehtür ins Freie und blieb erst mal stehen, schloss die Augen und atmete aus, als habe sie die ganze Zeit die Luft angehalten. Erleichterung. Und ein ganzer Nachmittag, ehe der Zug zurück fuhr.
»Hamburg? Da sollten Sie sich unbedingt das Paraplui Bleue anschauen« hatte jemand gesagt, als sie beiläufig von ihrer Reise erzählte.
Was das Paraplui Bleue sei, hatte sie wissen wollen.
»Ein Bistro in der Nähe des Gänsemarkts. Wirbt mit einem blauen Regenschirm, kann man nicht übersehen.«
»Und was ist daran so besonders?«
»Schauen Sie sich ‘s an«, hatte er gesagt, ein Pressemensch, früher Reporter beim Stern , inzwischen ein höheres Tier bei der Leipziger .
Zu übersehen war es tatsächlich nicht. In einer stillen Seitenstraße abseits der übervölkerten Gänsemarkt-Passagen balancierte eine gesichtslose Puppe einen blauen Regenschirm auf der ausgestreckten Hand, der drei Meter groß war und sich fortwährend öffnete und schloss. Sie trat ein, sah sich um. Gut besetzt, es roch nach getoastetem Brot und Schinken, und sie merkte plötzlich, dass sie hungrig war. Sie setzte sich auf einen der Hocker an der Theke.
Der Mann dahinter zapfte zwei Bier fertig und stellte sie auf das Tablett der Bedienung, dann wandte er sich ihr zu. Ursula fiel die Speisekarte aus der Hand.
Es war Wilfried van Delft.
»Was tun Sie denn hier?«, fragte sie entgeistert.
Van Delft schien nicht weniger überrascht zu sein als sie. Er hob das Handtuch, das er in der Hand hielt, und lächelte schief. »Arbeiten.«
Sie sah unwillkürlich umher, suchte voll gepackte Regale voller Manuskripte, Zeitschriften und Bücher, suchte Kinderzeichnungen an Pinnwänden und fand nur Regenschirme in allen Farben und Formen, Schirmständer, gerahmte Fotos vom Regen in der Stadt. »Aber…«
Van Delfts Blick glitt an ihr vorbei. Sein Kinn hatte mit einem Mal etwas Stählernes. »Ich hatte überlegt, Sie anzurufen und es Ihnen zu erzählen«, sagte er. »Dass man mich rausgeschmissen hat.«
29
Gegen zwei leerte sich das Bistro zusehends, und van Delft fand Zeit, sich mit ihr an einen Tisch zu setzen und zu reden.
»Das Lokal gehört meinem Bruder und seiner Frau. Erstaunlich, wie viel Geld so etwas abwirft; man könnte fast in Versuchung kommen«, erzählte er mit einem flüchtigen Lächeln. Einem sehr flüchtigen Lächeln. »Aber natürlich ist es nicht gerade das, was ich eigentlich bis zur Rente machen wollte.«
Ursula Valen war immer noch sprachlos. Sie hatte ihren Salat mit gebratener Hühnerbrust verzehrt und van Delft beobachtet, wie er notierte, servierte, kassierte, alles mit erstaunlicher Routine, und dabei waren ihr tausend Fragen durch den Kopf geschossen. Inzwischen war nur noch eine übrig: »Warum?«
»Offiziell«, sagte van Delft, »war es eine im Zuge einer internen Umstrukturierung unvermeidliche Entlassung.« Er ließ diesen Worte eine Pause folgen, die unmissverständlich klar machte, dass das nicht die vollständige Geschichte war und die wahre schon gar nicht. »Einen haben sie rausgeschmissen, weil er eine Hand voll Kugelschreiber mit nach Hause genommen hat, Werbegeschenke zu dreißig Pfennig das Stück, für seine Kinder. Untreue. Den haben sie regelrecht bespitzelt, bis sie etwas hatten, das sie ihm anhängen konnten. Ich meine, das hätte mir auch passieren können. So gesehen habe ich richtig Glück gehabt.«
»Aber wer kommt auf die wahnsinnige Idee, jemanden wie Sie, der jahrelange Erfahrung –«
»Da könnte ich jetzt Hamlet zitieren, aber ich lasse es. Die Methode ist entsetzlich einfach. Dass Gruner und Jahr inzwischen, wie bald die Hälfte des Planeten, zu dem Konzern gehört, den Ihr sympathischer, umweltschützender junger Billionenerbe in den letzten zwei Jahren zusammengekauft hat, wissen Sie, oder? Nun, ich war so eingebildet zu glauben, ich könnte mich der Zensur widersetzen, die seither herrscht.«
»Zensur?«
»Natürlich ruft niemand aus London an und sagt, das dürft ihr bringen und das nicht. So plump konnte das vielleicht Goebbels machen oder ein Randolph Hearst, aber heute? Nein, wenn man heute
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