Eine Billion Dollar
Du dominierst große Teile der Wirtschaft, mehr als du vielleicht ahnst, und das ist eine Situation, bei der mir nicht wohl ist.«
»Was würdest du an meiner Stelle tun?«
»Hoho!« Paul schüttelte den Kopf. »Wenn ich das wüsste…« Er sah umher, musterte die vielen leeren Sessel. »Ich denke, ich würde es ausgeben. Ich würde es investieren in Projekte zur wirtschaftlichen Gleichstellung der Frauen überall in der Welt. Die Frauen sind der Schlüssel. Wir haben das bei unseren eigenen Projekten gemerkt; für die Kollegen von der Weltbank ist es längst eine Binsenweisheit. Überall, wo Frauen gebildet und frei genug sind, um selber über ihr Leben entscheiden zu können, sinken die Geburtenzahlen auf ein vernünftiges Maß. Überall, wo Frauen Eigentum haben dürfen, anstatt welches zu sein, erreicht der Lebensstandard ein Niveau, das es erlaubt, über Umweltschutz nachdenken zu können. Bei vielen Entwicklungshilfeprojekten kriegen praktisch nur noch Frauen Geld in die Hand, weil die etwas damit verbessern, während die Männer es nur versaufen oder sich goldene Armbanduhren kaufen.«
»Demzufolge müsstest du meinen Philippinen-Vorschlag unterstützen.«
»John – ja, aber der IWF ist dafür nicht das richtige Forum. Wir sind eine Institution zur Überwachung des internationalen Währungssystems, nichts weiter. Wir sind auf Zusammenarbeit mit allen Regierungen angewiesen, sind in politische Zwänge aller Art eingebettet… Nein, das, was ich gesagt habe, ist etwas, das eine private Organisation tun könnte. Wir können es nicht.«
Plötzlich war es nicht mehr wie früher auf der Mauer. Sie waren wieder in der Gegenwart, saßen einander gegenüber, ein Vertreter der obersten Währungshüter des Planeten und der reichste Mann der Welt, an einem Tisch, an dem allwöchentlich Entscheidungen von weltweiter Tragweite gefällt wurden, und draußen warteten ein Dutzend Männer darauf, dass sie wieder zum Vorschein kamen. John stand auf. »Ich werde darüber nachdenken«, sagte er.
Der Rolls-Royce wartete wieder, als sie in Florenz aus dem Bahnhof trat, aber es war nicht mehr Benito, der ihn steuerte, sondern ein junger Mann, den Ursula noch nie gesehen hatte. Auch er trug Uniform, und er nahm ihr den Koffer ab, öffnete schneidig den Wagenschlag und sah sie mit loderndem Blick an dabei.
»Benito hatte einen Schlaganfall«, erzählte Cristoforo Vacchi auf der Fahrt hinaus. »Nicht so schlimm, wie es hätte sein können, aber er darf nicht mehr Auto fahren. Er lebt jetzt in der Nähe, bei einer Familie, die sich um ihn kümmert, und seit er wieder laufen kann, kommt er jeden Tag und poliert die Emmy – die Kühlerfigur vorne, Sie wissen schon…«
Ursula nickte. Der Padrone sah schmäler aus, als sie ihn in Erinnerung hatte, durchscheinend fast. John Fontanellis Weggang musste ihn tief getroffen haben.
»Signor Vacchi, es tut mir leid, dass ich mich so lange nicht -«
»Ich wusste, dass Sie eines Tages wiederkommen würden«, unterbrach er sie mit seinem sanften Lächeln. »Es war nur eine Frage des Anlasses.«
Ursula holte Luft. »Ich weiß nicht, ob Ihnen der Anlass gefallen wird.«
Sie irrte sich, bestimmt. Bestimmt hatte sie sich einfach katastrophal verrechnet. Die Vacchis würden sie auslachen, bestenfalls, oder schlimmstenfalls beschimpfen. Sie würde morgen wieder heimfahren, alle Unterlagen aus ihrem Studium verbrennen und sich um einen Job als Küchenmädchen im Paraplui Bleue bewerben. Sie holte tief Luft, erzählte, was ihr in den Kontenbüchern Giacomo Fontanellis aufgefallen war, und fühlte sich dabei, als bestelle sie ihre Henkersmahlzeit.
Aber Cristoforo Vacchi machte nur »Ah!«, als sie geendet hatte, und nickte eine Weile sinnend vor sich hin. »Dieses alte Rätsel…« Ursula spürte ihre Augen größer werden. »Sie wissen davon?« Der Padrone lächelte. »O ja! Meine Familie zerbricht sich seit langem den Kopf darüber. Und wir haben nicht den Hauch einer Ahnung, woher das Geld ursprünglich wirklich gekommen ist.«
31
»Was Sie in Washington erlebt haben, war Beharrungsvermögen«, erklärte McCaine. »Die Kraft, die alle die Entwicklungen am Leben hält, gegen die wir kämpfen. Jeder will vor allem, dass alles so bleibt, wie es ihm angenehm ist.« Er ballte die Faust. »Sehen Sie, dass es Illusion ist, auf so etwas wie Einsicht zu setzen, auf freiwilligen Verzicht? Das liegt nicht in der menschlichen Natur. Zwang – das ist das einzige Mittel, das funktioniert.«
John
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