Eine Billion Dollar
waren alles Dinge, mit denen sie sich auskennen sollte. Also, noch mal von vorn, zurück zu den Büchern. Finanzwesen im Mittelalter, das hieß zunächst einmal Münzwesen. Karl der Große hatte es auf Silber aufgebaut, ein Pfund oder 384 Gramm aufgeteilt in zwanzig Sous, auch Solidus oder Schilling genannt, die wiederum in zwölf Denarii oder Pfennige unterteilt wurden. Im Jahr 1252 hatte Florenz damit begonnen, Münzen aus Gold zu prägen, die auf der Vorderseite das Wappen der Stadt, die Lilie, trugen und auf der Rückseite das Bildnis Johannes des Täufers: den fiorino , später Floren oder Florin genannt, während man in den deutschen Ländern Goldener oder Gulden dazu sagte und später auch die Goldmünzen so nannte, die man selber prägte. Ein Goldflorin enthielt dreieinhalb Gramm Gold und hatte im Jahr 1252 zwanzig Solidi entsprochen, im Jahr 1457 dagegen 108, und dann hörte die Liste auf, die sie gefunden hatte. Es gab auch einen silbernen Florin, den fiorino d’argento, der zwei Drittel eines Talers wert war, aber was, zum Teufel, war in diesem Zusammenhang ein Taler? Die Zechine war die Nachahmung des Florin durch die Republik Venedig, sie wurde auch Dukat genannt. In Nordeuropa war ferner der Groschen gebräuchlich, der im Wert vier Pfennigen entsprach… Ein Chaos alles, verdammt noch mal. Sie schleuderte das Buch mitsamt Notizblock und Kugelschreiber quer durchs Zimmer und spürte den übermächtigen Impuls, alles zu nehmen, die ganze Mappe, alles, und unten in den Müllcontainer zu stopfen.
Wenn nur nicht diese Hitze gewesen wäre. Und diese Kopfschmerzen. Sie stemmte sich hoch, schaffte es bis zum Kühlschrank und goss Eistee in sich hinein, direkt aus der Tüte und pappsüß, aber gut.
Im zwölften Jahrhundert waren in Genua und anderen italienischen Städten die ersten Banken gegründet worden, die Geld entgegennahmen und Zinsen dafür zahlten, und an Kaufleute, Handwerker und hohe Herren Darlehen gaben. Schon längst war üblich, Geld bei einem Geldwechsler in Verwahrung zu geben und nur mit der Bescheinigung über den hinterlegten Betrag auf Reisen zu gehen oder zu bezahlen, Wechselgeschäfte also. Im vierzehnten Jahrhundert ließen venezianische Banken erstmals zu, dass ein Kunde mehr Geld abhob, als er eingezahlt hatte, im fünfzehnten setzten sich die arabischen Zahlen und das kaufmännische Rechnen im gesamten Abendland durch und wurde in Italien die doppelte Buchführung entwickelt. Doch die hatte Giacomo Fontanelli nicht benutzt. Seine Bücher beruhten auf überhaupt keinem erkennbaren System.
Was, wenn er in vorangegangenen Jahren Rücklagen gebildet hatte, die in späteren Bilanzen nicht mehr auftauchten – um die Steuer zu umgehen, oder einfach so, aus reiner Schlamperei? Zuzutrauen war es ihm. Da sie bei weitem nicht alle seine Kontenbücher kopiert hatte, hieß das, dass sie nicht darum herum kam, das Archiv noch einmal aufzusuchen.
Zumindest, wenn sie Klarheit haben wollte.
Noch einmal nach Florenz? Den Vacchis erzählen, was sie sicher nicht hören wollten? Sie starrte die Staubflocken an, die in dem schräg durch das Dachfenster fallenden Sonnenlicht tanzten, und plötzlich tanzten ihre Gedanken auch. Ohne weiter zu überlegen, ohne jedes Zögern, wie ein Bogenschütze im Zen, der eins geworden ist mit Pfeil und dem Zentrum der Zielscheibe und den Schuss nur noch geschehen lässt, holte sie ihren Notizkalender, blätterte, bis zur Nummer von Cristoforo Vacchi, ging zum Telefon, wählte. »Selbstverständlich, Signorina Valen«, erklärte Cristoforo Vacchi sofort. Der alte Mann klang müde – oder traurig, das war schwer zu sagen –, aber er schien sich aufrichtig über ihren Anruf zu freuen. Kein Wort über die zwei Jahre, die verstrichen waren, keine Frage nach den Gründen für ihr Zögern, keine Vorhaltungen. »Kommen Sie, wann immer Sie wollen.«
Der Raum war nicht groß, und dass die Ecken abgerundet waren, ließ ihn noch kleiner erscheinen. Ein Tischoval umschloss einen freien Platz in der Mitte, der wie eine Arena wirkte, und graue Sessel auf Rollen umringten das alles in drei Reihen. An der Stirnseite des Raumes bauschte sich ein weißer Vorhang; es war nicht zu erkennen, was er verdeckte.
»Hier tagt das Exekutivdirektorium, dreimal pro Woche«, erklärte Paul mit einer knappen Handbewegung hin zu den in hellem Holz getäfelten, teilweise mit weißem Stoff bespannten Wänden. Er sah John an und schüttelte den Kopf. »Verrückt, oder? Dass wir uns
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