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Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Abstände zwischen den Sitzreihen hatte John nur wenig geschlafen und fühlte sich nicht besonders fit. Das grelle Licht schmerzte in seinen Augen. Er blinzelte, als er auf die sanften Hügel mit den sparsam darüber verteilten Pinien hinaussah, die in ihm ein unerwartet starkes heimatliches Gefühl wachriefen. Dabei war er noch nie in Italien gewesen, hatte immer nur aus den Erzählungen seiner Eltern davon gehört.
    Die hatten nicht schlecht gestaunt, als er im schwarzen Lincoln vorgefahren gekommen war. Er musste immer noch lächeln, als er sich an ihre Gesichter erinnerte.
    Viel hatte er ihnen nicht erzählt. Das mit dem Erbe hatten sie nicht ganz kapiert – »Wie kannst du erben, wenn wir noch leben, Junge?«, hatte sein Vater bestimmt fünfmal gefragt –, aber dass er jetzt reich war, das hatten sie verstanden. Wie reich, hatte er ihnen vorerst erspart, denn es sollte nur ein kurzer Besuch werden, und unter einer Billion Dollar hätten sie sich ohnehin nichts vorstellen können. Schließlich konnte er das selber noch nicht. Auf dem Rückweg von Bridgewater hatten sie in der Fifth Avenue halt gemacht, direkt vor den feinsten und edelsten Läden. Eduardo, der ihn die ganze Zeit begleitete wie ein Reiseführer durch die wunderbare Welt des Reichtums, hatte ihm eine goldene Kreditkarte überreicht, in die sein Name geprägt war, mit den Worten: »Läuft auf eines Ihrer Konten«, und dann waren sie hineingegangen in einen dieser Tempel der Schneiderskunst.
    Stille hatte sie umfangen und der Geruch nach Stoffen, feinem Leder und edlem Parfüm. Die Vitrinen, Packtische und Kleiderbügel schienen so alt zu sein wie die Besiedelung Amerikas. John wäre kein bisschen überrascht gewesen, wenn jemand behauptet hätte, das dunkle Holz, aus dem die gesamte Ausstattung bestand, stamme von der Mayflower selbst. Ein grauhaariger, leicht hinkender Mann war ihnen entgegengetreten wie ein Gralshüter, hatte mit einem raschen, professionellen Blick den tadellos, allenfalls etwas zu modisch gekleideten Eduardo von Kopf bis Fuß gemustert und gleich darauf John, der noch seine Jeans, sein verschlissenes Hemd und sein ausgeleiertes Jackett trug, und ohne eine Miene zu verziehen entschieden, dass John es war, der seiner Hilfe bedurfte. Wie viel sie anzulegen gedächten für die Ausstattung des jungen Mannes, hatte er gefragt.
    »Was nötig ist«, hatte Eduardo gesagt.
    Und dann war es losgegangen. John probierte an, Eduardo entschied, schlug vor, kommentierte, kommandierte die Angestellten umher.
    Die Idee, sich mit richtiggehenden Anzügen, Hemden, Krawatten und so weiter auszustaffieren, hatte John zunächst heftig widerstrebt. Das sei unbequem, schmutzanfällig, und er käme sich darin sicher vor wie verkleidet.
    »Sie können sich das Beste vom Besten leisten«, hatte Eduardo gesagt, »und das ist ganz bestimmt nicht unbequem, sonst würden es reiche Leute nicht tragen.«
    »Zweifellos werden Sie es sich leisten können, anzuziehen, was immer Sie wollen«, hatte sein Vater, Gregorio, umständlich dargelegt. »Aber zumindest für gewisse Anlässe halten wir den Besitz einer entsprechenden Garderobe für empfehlenswert.«
    »Sie sind ein reicher Mann«, hatte dessen Bruder Alberto mit einem gemütlichen Augenzwinkern gemeint. »Sie wollen sich doch sicher auch fühlen wie ein reicher Mann.«
    Großvater Cristoforo hatte gelächelt und gesagt: »Warten Sie doch einfach ab, wie Sie sich fühlen.«
    Und in der Tat, als John schließlich im ersten Anzug vor dem Spiegel stand, war er nicht wenig beeindruckt. Du meine Güte, was für ein Unterschied! Als er den Laden betreten hatte, war er sich wie ein Häuflein Elend vorgekommen, wie ein verirrter Stadtstreicher, wie der geborene Verlierer, und eine beinahe übermächtige Stimme in seinem Inneren hatte ihn gedrängt, zu rennen und zu flüchten, weil er in dieser Umgebung einfach nichts verloren hatte, nicht geboren war für so viel Reichtum und Pracht. Und nun, in einem klassischen dunkelblauen Zweireiher, einem schneeweißen Hemd und einer dezent gestreiften Krawatte, in glänzenden schwarzen Schuhen, die so hart und schwer waren, dass jeder Schritt ein machtvoll klingendes Geräusch machte, sah er nicht nur aus, als ob er in diese Umgebung gehörte, vielmehr schien geradezu ein Leuchten von seiner Gestalt im Spiegel auszugehen. Auf einmal war er ein Gewinner, eine unübersehbar wichtige Persönlichkeit. John sah auf das erbärmliche Häufchen seiner alten Klamotten hinab und wusste,

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