Eine Billion Dollar
jedenfalls zog er ein Netz, das ziemlich feinmaschig sein musste, so wie es schimmerte, durch das flache Ufergewässer, mit engelsgleicher Geduld, wieder und wieder an denselben Stellen. »Wissen sie überhaupt, was sie mit dem Dynamit anrichten?«, fragte John. »Warum es verboten ist?«
Benigno fragte, die versammelten Fischer antworteten, und dann sprach Benigno, erklärte ihnen offenbar Zusammenhänge, von denen sie, den Ausdrücken bassen Erstaunens auf ihren Gesichtern nach zu urteilen, noch nie gehört hatten. Dass ein Korallenriff die Heimat für Millionen von Lebewesen war, viele davon Futter für Fische, die dadurch in Schwärmen angelockt wurden. Dass Dynamit all dies zerstörte. Dass sie mit dem Versuch, ihre Fänge zu vergrößern, ihre Fanggründe vernichtet hatten und im Begriff waren, eine Unterwasserwüste zu schaffen, die ihren Kindern keine Lebensgrundlage mehr bieten würde.
John sah wieder zu dem alten Mann am Strand hin und erinnerte sich, dass er einmal, irgendwann, vor hundert Jahren, wie es ihm vorkam, in seinem Büro gesessen und über diese Zusammenhänge in einem Buch gelesen hatte. Damals hatte ihm alles wunderbar eingeleuchtet, wobei ihm der Erhalt von Korallenriffen allerdings eher wie eine Nebensache vorgekommen war. Das hier war die Wirklichkeit. Für diese Leute war der Erhalt von Korallenriffen eine Frage von Leben und Tod. Hier war nichts mehr einfach, einleuchtend und wunderbar erst recht nicht.
»Sie wussten es nicht«, berichtete Benigno konsterniert. »Sie haben gedacht, Dynamitfischen sei verboten, weil es gefährlich für die Fischer ist.« Er schüttelte den Kopf. »So ganz begriffen haben sie es auch immer noch nicht…«
Patricia deBeers drehte die Spitzen ihres Haares zwischen den Fingern und betrachtete sie dabei prüfend. »Warum haben sie überhaupt damit angefangen? Ich meine, die gute alte Methode muss doch jahrhundertelang funktioniert haben, oder?«
»Gute Frage«, nickte John.
Benigno gab die Frage weiter. Es waren vor allem die Älteren, die darauf antworteten, mit langen, melodischen Erzählungen, zu denen die anderen bestätigend nickten. Doch der Gesandte konnte alles, was sie sagten, in einem nüchternen Satz zusammenfassen: »Die Fänge haben nicht mehr gereicht.«
»Und warum?«
»Sie waren zu viele geworden.«
»Und mussten nach Wegen suchen, mehr Fische zu fangen, als mit den alten Methoden möglich war.« John nickte verstehend. Also doch, die Mutter aller Probleme: Bevölkerungswachstum. Er blickte sich um, betrachtete die Schar der Kinder, der menschliche Zins und Zinseszins ihrer Vorfahren. »Haben sie nie daran gedacht, stattdessen weniger Nachkommen in die Welt zu setzen?«
Benigno zögerte, schüttelte den Kopf. »Das brauche ich nicht erst zu fragen. So etwas ist nicht erlaubt.«
»Was?«, fragte Patricia scharf. »Empfängnisverhütung?«
»Das ist gegen das Gesetz. Und es ist gegen Gottes Wille.«
»Und einem Kind mit Lungenentzündung Penicillin zu geben, ist das auch gegen Gottes Wille?«
Er spreizte in einer verlegenen Geste die Finger. »Das kann ich nicht beurteilen. Das ist Sache der Kirche. Ich richte mich danach, was die Priester sagen.«
»Richtest du dich, so.« Sie musterte ihn mit einem spitzen, verletzten Lächeln, beugte sich dann zu ihm vor und sagte leise: »Ich habe ein Rätsel für dich. Nehme ich die Pille, ja oder nein? Rate mal.«
Benigno sah sie mit geweiteten Augen an, und John hatte den starken Eindruck, dass, falls die beiden eine Affäre miteinander gehabt hatten, er jedenfalls gerade deren Ende erlebt hatte.
Nachher, auf dem Weg zurück zum Boot, begegnete ihnen der Alte mit dem feinen Netz. In den zwei Stunden, die sie hier gewesen waren, hatte er eine Hand voll Fischbrut zusammengebracht, lauter ein bis zwei Zentimeter große Fische.
John deutete darauf und bat Benigno: »Fragen Sie ihn, ob er sich darüber im Klaren ist, dass diese Brut nicht mehr zu großen, fortpflanzungsfähigen Fischen heranwachsen wird. Fragen Sie ihn, ob er weiß, dass er die letzte Chance vernichtet, auch in ein paar Jahren noch etwas zum Essen zu fangen.«
Benigno seufzte verhalten und tat, wie geheißen. Der alte Mann, der nur eine zerschlissene rote Sporthose trug, sah sie aus kurzsichtigen Augen an, lächelte traurig und sagte etwas. Dann ging er an ihnen vorbei, und im Vorbeigehen tätschelte er John leicht auf den Arm.
John sah ihm verblüfft nach. »Was hat er gesagt?«, wollte er wissen.
»Er hat gesagt«,
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