Eine Billion Dollar
zwanzig Jahre alt, und er war in Venedig, einer pulsierenden Handelsstadt, ungewohnt intensiver Sonne und brütender Hitze ausgesetzt… Ist es denkbar, dass das ohne Wirkung auf ihn geblieben ist? Die Maskenbälle, das oft zügellose Treiben – ist es vorstellbar, dass er, ein junger, gesunder Mann, ein ganzes Jahr in dieser schwülen Atmosphäre verbracht haben soll, ohne zumindest eine kurze Affäre gehabt zu haben? Und selbst wenn er später unfruchtbar blieb, wäre es nicht denkbar, dass er damals, in der Blüte seiner Jugend, wenigstens einmal zeugungsfähig war? Es ist sowohl möglich als auch vorstellbar, dass Jakob Fugger während seines Aufenthalts in Venedig eine junge Frau geschwängert hat und abreiste, ohne davon zu erfahren. Eine Frau, von der wir nur den Namen kennen.«
Er sah sie an, nickte verstehend. »Fontanelli.«
»Genau. Das Geburtsdatum Giacomo Fontanellis, 1480, würde zeitlich genau passen. Und andere Einzelheiten passen auch. Warum zum Beispiel hat er sich geweigert, seine Bücher a la veneziana zu führen? Vielleicht, weil ihm seine Mutter aus ihren schlechten Erinnerungen heraus eine Abneigung einimpfte gegen alles, was aus Venedig kam.«
John Fontanelli betrachtete den Brief, die Zahlen darauf, die Unterschrift. »Was ist mit der Schrift?«
Sie holte das Fax aus der Mappe, das ihr ein hilfreicher Kurator aus Deutschland geschickt hatte und das einen anderen Brief Fuggers zeigte. »Hier. Nicht identisch, aber hinreichend ähnlich.«
»Unglaublich.« Er hielt die beiden Papiere nebeneinander, betrachtete sie, doch er schien mit den Gedanken woanders zu sein. Plötzlich sah er hoch, sah sie an und sagte: »Miss Valen, ich möchte mich entschuldigen. Ich weiß nicht mehr, warum ich bei unserer ersten Begegnung so unhöflich war, aber es tut mir leid.«
Sie sah ihn bestürzt an. Das war so unerwartet, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte. »Na ja«, brachte sie mühsam heraus, »ich war auch nicht gerade die Liebenswürdigkeit in Person.«
»Aber ich habe angefangen«, beharrte er. »Bitte verzeihen Sie mir. Ich bewundere wirklich, wie Sie das alles herausgefunden haben. Wirklich, ich wünschte, ich könnte so etwas…« Er hob mit einem hilflosen Lächeln die Briefe hoch. »Geschäftssinn hat er mir jedenfalls keinen vererbt, wissen Sie? Meine Kontostände in der Zeit vor der Erbschaft sprechen eher gegen Ihre Theorie.«
Sie musste unwillkürlich lachen, und sie war dankbar dafür, dass er ihr erlaubte, auf das Geschichtliche zurückzukommen. »Ach, das ist noch gar nichts. Selbst Ihr Urahn Giacomo hat nicht besonders viel Geschäftssinn abbekommen. Er war oft verschuldet, hat sich mehr schlecht als recht durchlaviert. Passen Sie auf, hier.« Sie legte ihm das Kontenbuch vor, das sie schon dem Padrone gezeigt hatte. »Hier, ein Eintrag. März 1522. Ein gewisser J. leiht ihm zweihundert Florin.«
» J. wie Jacopo.«
»Darf man vermuten.«
»Aber wie ist er mit seinem Vater in Kontakt gekommen? Und warum hat er nie gesagt, wer sein Vater ist?«
Ursula zögerte. Das war alles so wilde Spekulation, dass ihr unwohl dabei war. »Ich könnte mir denken, dass seine Mutter ihm irgendwann alles erzählt hat. Vielleicht kurz vor ihrem Tod, wobei wir nicht wissen, wann sie gestorben ist. Und was aus diesem Jakob Fugger geworden war, den sie in jungen Jahren in Venedig kennen gelernt hatte, das wusste damals in Europa jeder. Ich stelle mir vor, dass Fugger sich Fontanellis Stillschweigen erkauft hat mit seinen Darlehen. Der Kontakt hat nach den Notizen in den Kontenbüchern frühestens 1521 stattgefunden. Damals hatte Jakob Fugger noch vier Jahre zu leben, und vielleicht hat er den Tod schon nahen gefühlt. Sein designierter Nachfolger war sein Neffe Anton, und ganz bestimmt wollte ein Jakob Fugger daran nichts zugunsten eines illegitimen Sohnes ändern, schon gar nicht zugunsten eines geschäftlich so wenig erfolgreichen.«
»Aber er hat diesen Plan entwickelt.«
»Eindeutig. Und jemandem mit dem Weitblick und finanziellen Sachverstand eines Jakob Fugger ist ein solcher Plan auch viel eher zuzutrauen.«
»Aber«, sagte er und zögerte, »was ist mit der Prophezeiung?«
Jetzt waren sie am heißesten Punkt angelangt. Ursula spürte, wie ihr warm wurde. »Ich denke, Giacomo Fontanelli hat diesen Traum tatsächlich gehabt. Sie müssen sich vor Augen halten, dass er in einem Kloster aufgewachsen ist, mit all den Legenden und Mythen und Geschichten von Propheten und Märtyrern – da
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