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Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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finde ich es alles andere als erstaunlich, wenn ein Fünfzehnjähriger einen solchen Traum träumt und als Vision deutet.«
    »Einen Traum, in dem er unsere Zeit immerhin äußerst treffend beschreibt, fünfhundert Jahre in der Zukunft.«
    »Finden Sie? Es sind doch eher allgemeine Bilder, die genauso gut aus der Bibel stammen könnten, der Apokalypse etwa oder dem Buch Daniel. Nein, er hatte diesen Traum, hat ihn als Vision verstanden, als Prophezeiung meinetwegen – aber ich denke, dass Jakob Fugger sich diese Prophezeiung zunutze gemacht hat.« Sie deutete auf die letzten Zeilen des Briefes. »Das hier heißt, wenn man es korrekt übersetzt: So wirken die Gesetze der Mathematik, meinem Vermögen Unsterblichkeit zu verleihen, und du magst davon ausgehen, dass so zugleich deine Vision vollendet wird. Er wollte die religiöse Überzeugung von Giacomo Fontanelli und seines Freundes Michelangelo Vacchi benutzen, um das, was er geschaffen hatte – das größte Vermögen der Geschichte – in ferner Zukunft wieder erstehen zu lassen.«
    John starrte eine Weile ins Leere. »Man könnte es auch so sehen, dass die göttliche Vorsehung das Geld und die Intelligenz Jakob Fuggers benutzt hat, um die Voraussetzungen zu schaffen, die für die Erfüllung der Prophezeiung erforderlich waren.«
    »Ja. So kann man es auch sehen. Cristoforo Vacchi zum Beispiel sieht es so. Ich allerdings nicht.«
    »Sie haben ihm das alles gezeigt?«
    »Sicher.« Ursula hob die Augenbrauen. »Das war nicht der Auslöser seines Zusammenbruchs, keine Sorge.«
    Er stand auf, streckte sich, als versuche er ein Gewicht loszuwerden, das auf seinen Schultern lastete – vergebens –, und ging die Reihe der Vitrinenschränke entlang. »Und das alles hier? Die Familie Vacchi hat Unglaubliches zustande gebracht, finden Sie nicht? Es fällt mir schwer, zu glauben, dass ein Jakob Fugger dafür verantwortlich ist und nicht eine göttliche Kraft.«
    »Ich stelle nicht die religiöse Überzeugung der Familie Vacchi infrage. Was ich infrage stelle, ist die Relevanz der Prophezeiung.«
    »Ich dachte, das ist dasselbe.«
    »Nein. Ich bestreite, dass es Aufgabe eines einzelnen Menschen sein kann, der Menschheit die verlorene Zukunft zurückzugeben. Ich bestreite, dass man dafür Geld braucht. Ich bestreite sogar, dass die Menschheit ihre Zukunft überhaupt verloren hat.«
    Er riss die Augen auf. »Alle Hochrechnungen besagen –«
    »Alle Hochrechnungen irren. Haben schon immer geirrt. Es hat zur Jahrhundertwende Hochrechnungen gegeben, den anwachsenden Straßenverkehr betreffend, nach denen wir heute bis zur Hüfte in Pferdedung waten müssten. Das ist alles Unsinn, John. Wir leben nicht mehr und nicht weniger in einer Endzeit als zu jeder anderen Zeit der Geschichte. Wir sind nur ein bisschen nervös, weil mal wieder ein neues Jahrtausend der Zeitrechnung anbricht, das ist alles.«
    Er blieb vor ihr stehen, sah sie an, und sie erblickte in seinen Augen eine Seele, auf der ein frostiges Gewicht lastete. »Sie wissen nicht, wie das ist. Derartig viel Geld zu besitzen heißt, das Schicksal der Welt in Händen zu halten. Ich würde gern etwas Gutes damit tun, aber ich weiß nicht, was. Ich weiß nicht, ob man überhaupt etwas Gutes damit tun kann. Aber was ich weiß, ist, dass man sehr leicht sehr viel Schlechtes damit tun kann.«
    »Dann geben Sie es weg. Gründen Sie Stiftungen. Verteilen Sie es. Lassen Sie sich doch nicht davon erdrücken.«
    »Das verstehen Sie nicht. Ich bin der Erbe. Ich muss –«
    »Sie müssen vor allem leben, John«, sagte sie. »Leben.«
    »Leben«, wiederholte er, bedächtig, als habe er dieses Wort noch nie benutzt. Etwas wie Schmerz schimmerte in seinem Blick. »Ganz ehrlich – ich weiß nicht, wie man das macht.«
    Nein. Es war wie ein Sog, der von seinem Körper ausging und den ihren anzog. Nein. Ich werde mich zu nichts hinreißen lassen. Sie dachte an Friedhelm, an New York, aber alle Erinnerung war mit einem Mal farblos geworden, blass wie ein Foto aus dem vergangenen Jahrhundert. »Sie tun es doch schon. Sie müssen nur aufhören zu glauben, Gott habe zu Ihnen gesprochen. Das hat er nicht.«
    »Wer dann? Jakob Fugger?«
    »Niemand. Es ist einfach nur eine alte Geschichte, nichts weiter.«
    Sein Atem ging heftiger, seit ein paar Augenblicken schon, aber jetzt erst fiel es ihr auf und auch, dass das Einatmen in Schüben kam, wie bei jemand, der gleich anfängt zu schluchzen. Seine Hände bebten, in seinen Augen glomm Entsetzen.

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