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Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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er verschwindet.«
    »Zehn Dollar? Das finde ich ganz schön unverschämt, Brenda, die anderen –« Er langte angewidert in die Tasche, fischte einen Schein heraus und warf ihn John zu. »Also gut, da. Und jetzt mach, dass du weiter kommst. Vamos. Verdammt, wie ich diese Stadt hasse«, knirschte er und drehte sich auch weg.
    »Gracias«, murmelte John, womit seine Spanischkenntnisse ungefähr voll ausgeschöpft waren. »Muchas gracias, se­or.« Damit schlich er sich davon.
     
    Ein paar Straßen weiter fand er ein kleines Tel­fonos -Büro, das mit einem blau-weißen Schild mit der Aufschrift larga distancia warb. Es ging ein paar Stufen hinab in einen niedrigen Raum, in dem ein Getränkeautomat stand und ein dicker Mann hinter einer Theke hockte, eine Karte von Mexiko im Rücken. Auf den Wänden klebten dicke Schichten veralteter Plakate zu Konzerten und Gottesdiensten. Das Büro war heruntergekommen, aber sauber genug, dass der Mann ihn mit einigem Recht missbilligend musterte.
    »Kann ich hier telefonieren?«, fragte John und legte ihm den Zehndollarschein hin.
    Buschige Augenbrauen gingen nach oben.
    »Ins Ausland«, fügte John hinzu. »USA.«
    Die Augenbrauen sanken wieder herab. Eine beringte Pranke zog die Banknote von der Theke, eine andere wies auf den rechten der beiden Telefonapparate an der Wand. »Est­ bien. Dos minutes.«
    John nickte dankend und schnappte sich den Hörer. Jetzt nicht verwählen. Er drückte die Auslandsvorwahl, 98, die unübersehbar und in allen wichtigen Sprachen auf dem Apparat stand. Dann 1 für die USA.
    Dann hielt er inne. Er hatte das Sekretariat der New Yorker Niederlassung anrufen wollen, um sich unauffällig durch den Sicherheitsdienst abholen zu lassen. Aber irgendwie fühlte diese Idee sich seltsam falsch an.
    Der Mann hinter der Theke grummelte etwas, bedeutete ihm gestenreich, weiterzumachen mit dem Wählen, »­ndele, ­ndele!« .
    Nein. Das war keine gute Idee, warum auch immer. John hob die Hand, wollte schon die Gabel herunterdrücken, als ihm ein anderer Gedanke durch den Kopf schoss, ein Gedanke, dem er folgte, ohne weiter nachzudenken. Sein Finger tippte eine Null und dann die Ziffern einer Telefonnummer, die er so wenig vergessen konnte wie den Geburtstag seines besten Freundes.
    »Hallo?«, sagte die Stimme von Paul Siegel.

42
    Der Zòcalo war das Zentrum der Stadt und ihr ganzer Stolz. Groß war er, wie geschaffen für Aufmärsche und Paraden, gesäumt von einer gewaltigen Kathedrale und einem pompösen Palast, groß und leer und bei Tag und Nacht bevölkert von Passanten, Bettlern, Pflastermalern, Liebespaaren, Familien und fotografierenden Touristen. Ein nie versiegender Verkehrsstrom umspülte den Platz, in dessen Mitte stolz die Nationalflagge wehte. Abends marschierte ein Garderegiment auf, um das riesige Banner in einer aufwändigen Zeremonie einzuholen, danach flammten Tausende von Lampen entlang der Fassaden ringsum auf und vereinigten sich zu eindrucksvoller Nachtillumination.
    John kam sich vor wie unsichtbar. Er umwanderte den Platz langsam, immer Ausschau haltend, immer bereit, davonzurennen, aus welchem Anlass auch immer, aber niemand sah ihn an oder wollte etwas von ihm. Er wanderte an der schier endlosen Front des Palacio Nacional entlang, vertiefte sich in die Betrachtung der Reliefs an der Kathedrale und stromerte durch die Arkaden, in denen Geschäfte beheimatet waren, die entweder Schmuck verkauften oder Hüte, nichts anderes. Einmal stand er vor einer Auslage und besah sich sinnend das Geschmeide, das darin lag wie Aztekengold, als ihm eine stämmige Matrone mit ondulierten Haaren ein paar Münzen in die Hand drückte, so bestimmt, dass er keinen Einspruch wagte. Er bekam an einem der Stände in der Querstraße einen Taco dafür, verspeiste ihn mit Heißhunger und hatte ihn nachher wie Beton im Magen liegen.
    Er fühlte sich unsichtbar und auf merkwürdige Weise frei. In den zurückliegenden Wochen schienen alle Notwendigkeiten der Zivilisation von ihm abgefallen zu sein, die ganzen lästigen Verrichtungen persönlicher Hygiene, die zahllosen Verpflichtungen des Zusammenlebens, an all das erinnerte er sich nur noch wie an etwas, das einmal einen anderen betroffen und von dem er nur erzählt bekommen hatte. Es gab nichts zu tun, aber er langweilte sich nicht, sondern war zufrieden, irgendwo zu hocken, an eine Mauer gelehnt, und geruhsam ins Leere zu starren. Ab und zu verspürte er ein körperliches Bedürfnis, doch vergleichsweise

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