Eine Billion Dollar
gedämpft, fast als wolle sein Körper es ihm überlassen, darauf einzugehen oder nicht. Hunger, Durst, Müdigkeit – das war alles da, ja, aber es hielt sich im Hintergrund, wurde nie aufdringlich oder fordernd. Es war ein Frieden mit sich und der Welt, wie er ihn noch nie verspürt hatte, und er wünschte sich fast, Paul würde niemals kommen.
Doch irgendwann war er da. Unverkennbar die hagere, bebrillte Gestalt, die vor dem Haupttor der Kathedrale stand und, ohne das historische Bauwerk eines Blickes zu würdigen, den weiten Platz absuchte. John stand seufzend auf und schlenderte auf ihn zu, in weitem Bogen und unauffälligem Tempo, bis er unerkannt fast neben ihm stand.
»Hallo, Paul«, sagte er.
Paul Siegel fuhr herum und starrte ihn an, ungläubig zuerst, dann, je länger es ging, immer fassungsloser. »John…?«, hauchte er, mit Augen, die aussahen, als würden sie nur noch von den Brillengläsern in ihren Höhlen gehalten.
»Hab ich mich so verändert?«
»Verändert?«, japste Paul. »Mein Gott, John – du siehst aus wie ein Fakir, der nach zwanzig Jahren Meditation vom Himalaya steigt.«
»Und stinke wie ein Kanalarbeiter, nehme ich an.«
»Nach zwanzig Jahren in der Kanalisation, ja.« Er schüttelte den Kopf. »Was ein Glück, dass ich einen Mietwagen genommen habe.«
Sie fuhren aus der Stadt hinaus und nach Norden, mit geöffneten Fenstern, weil Paul es anders nicht ausgehalten hätte. Er hatte allerlei Lebensmittel dabei, Kekse, Obst, Getränke in Flaschen und dergleichen, und wunderte sich, dass John nur zögernd zugriff. »Ist alles hygienisch unbedenklich«, betonte er.
»Mhm«, machte John nur.
Bei einem Hotel, das Paul sich in einem dicken, ausführlichen Reiseführer angestrichen hatte, hielten sie. »Ich hatte auf dem Flug von Washington eine Menge Zeit zu lesen«, sagte er fast entschuldigend. »Im Moment könntest du mich fragen, was du willst, ich habe das Gefühl, ich kenne Mexiko wie meine eigene Wohnung.« Er erledigte die Formalitäten und schmuggelte John danach mehr oder weniger in das Zimmer, das fließend Warmwasser und eine Badewanne hatte. »Ich dachte, das kann nichts schaden, nachdem du von dem Müllplatz erzählt hast. Und das auch nicht«, meinte er und zog eine große Plastikflasche flüssige Spezialseife aus der Tasche. »Untertagearbeiter verwenden so was, und, na ja, Müllmänner auch.«
John nahm die knallrote, beeindruckend aussehende Flasche in die Hand. »Dich kann man wirklich was organisieren lassen. Lass mich raten – frische Kleidung hast du auch dabei?«
»Im Kofferraum. Ich hol sie hoch, während du dich in die Fluten stürzt.«
»Du bist ein Genie.«
Paul lächelte wehmütig. »Ah, ja? Und warum bin ich dann nicht reich und glücklich? Komm, ab ins Bad. Du bist eine Zumutung für die Menschheit. Ach, und noch was – den Bart würde ich dranlassen an deiner Stelle.«
Nach dem Bad und Unmengen Spezialseife fühlte sich John nun doch wie neugeboren. Die Wäsche, die Paul besorgt hatte, passte leidlich, während Hemden, Hose und Slipper so gewählt waren, dass man dabei fast nichts falsch machen konnte. So saßen sie nachher im gedeckten Patio des Hotels, aßen zu Abend und besprachen die weiteren Pläne.
»Ich bin nach San Antonio geflogen und bei Laredo über die Grenze«, erklärte Paul, »und falls du mir keinen Grund sagst, der dagegen spricht, würde ich diesen Weg auch wieder zurück nehmen. Ach ja, übrigens, dein Pass«, fügte er hinzu, zog einen blauen amerikanischen Pass aus der Tasche und schob ihn über den Tisch.
»Wie bitte?« John nahm ihn, blätterte ihn auf. Das Passbild zeigte einen Mann mit einem dünnen Kinnbart, als Name war Denis Young angegeben, geboren am 16. März 1966 in Rochester. »Wer ist Denis Young?«
»Ein guter Freund eines guten Freundes. Der keine Fragen stellt und keine Journalisten kennt.«
John betrachtete das jugendlich wirkende Gesicht. »Und du denkst, das klappt?«
»Du brauchst einen Pass, wenn du über die Grenze willst, oder? Und ich bin ehrlich gesagt erschüttert, wie gut das Bild zu dir passt nach deiner Müllplatz-Kur. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Grenzbeamter Verdacht schöpft.«
»Hmm«, machte John versonnen. »Na, wird schon schief gehen.« Er steckte das Dokument ein. »Danke.«
»Bitte«, sagte Paul. Er goss sich etwas Wein nach, dann beugte er sich, das Glas am Stiel haltend, vor. »Dir ist klar, welche Frage ich irgendwann stellen muss?«
»Sonnenklar.«
»Du
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