Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
Emblem der Vereinten Nationen erinnerte, fünf stilisierte Köpfe unbestimmten Geschlechts in denselben Farben, in denen auch die Olympischen Ringe dargestellt zu werden pflegten – Blau, Gelb, Schwarz, Grün und Rot – und auch ungefähr so angeordnet.
    Darunter stand: We The People Org. – Headquarters.
     
    Er hatte das Gefühl, einen Schwelbrand in seiner Brust zu beherbergen, der ihn verzehrte, der ihn zwang, das, was zu sagen war, zu sagen, ehe es zu spät war, ohne Aufschub, ohne Zögern, ohne Bedenken. Wie ferne Lichtreflexe tauchten andere, zweifelnde Gedanken am Rand seines Bewusstseins auf – er ließ Paul nicht mehr zu Wort kommen, obwohl sie ihre Rollen abgesprochen hatten; und der Generalsekretär: War sein höfliches Interesse am Ende nur genau das: höflich? weil nicht einmal der Generalsekretär der Vereinten Nationen es sich erlauben wollte, den reichsten Mann aller Zeiten zu verärgern? –, aber im nächsten Moment verflogen diese Gedanken wieder, waren vergessen, waren nie da gewesen.
    »Ich kann die Gelegenheiten nicht mehr zählen«, sagte er, »bei denen ich die Öffentlichkeit getäuscht, belogen oder zumindest beschwichtigt habe, die Anlässe, zu denen ich versucht habe, die öffentliche Aufmerksamkeit durch gezielte Manipulation der Medien von bestimmten Dingen abzulenken. Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich insgesamt damit zugebracht habe, mir den Kopf zu zerbrechen, wie das, was ich zu tun vorhatte, bei den Leuten ankommen würde. Ich habe Unmengen Geld ausgegeben, um bei den Menschen bestimmte Emotionen zu wecken, sie für etwas zu gewinnen oder von etwas abzuhalten, kurz, um ihr Denken, ihr Fühlen und damit ihre Entscheidungen zu beeinflussen. Und nun frage ich Sie: Warum eigentlich?«
    Die Frage schien in der Luft hängen zu bleiben wie ein Ton, der so langsam verklingt, dass man sich irgendwann nicht mehr sicher ist, ob man ihn noch hört oder sich nur einbildet, ihn zu hören. John Fontanelli sah sich um, in die schweigenden Gesichter der anderen. Wie mochte Giacomo Fontanelli empfunden haben, als er von seiner Vision berichtete? Hatten ihn auch diese Momente der Verzagtheit geplagt, diese Funken gleißender Angst, die ihn überkamen wie Stromstöße?
    »Warum diese Mühe?«, fuhr er leise fort, mit bebender Stimme. »Ich bin doch ein mächtiger Mann, sagt man. Warum gebe ich mir solche Mühe, die Menschen, gewöhnliche Menschen auf der Straße, in Fabriken und U-Bahnen, zu beeinflussen? Es könnte mir doch egal sein, was sie denken. Oder?«
    Der Klang seiner Stimme verlor sich zwischen den kahlen Wänden des Büros, aus dem der Blick hinausging über ein schier endloses Häusermeer, das erst am Horizont in bräunlichem Dunst verschwand.
    »Und denken Sie an alle wirklich mächtigen Männer, die großen Diktatoren der Geschichte – jeder von ihnen war besessen davon, die Medien zu kontrollieren und gleichzuschalten, Kontrolle zu haben über das, was gedruckt, gezeigt, gesagt wurde. Warum? Wenn er doch mächtig war, was kümmerte ihn da das Geschwätz?« John legte die Hände zusammen, umklammerte den Zeigefinger der rechten mit der linken Hand, spürte ihn pochen. »Weil er nicht wirklich Macht besaß. Weil auch ich nicht wirklich Macht besitze. Es sieht nur so aus.«
    Jetzt, endlich, als erwache er aus einer entsetzten Starre, begann der Generalsekretär wieder zu nicken, ganz leicht nur, und ein leichtes Lächeln spielte auf seinen Lippen. Wie ein trunkener Taumel fiel es John an, was hier geschah: Er, der Schustersohn aus New Jersey, sprach zum ersten Mann der Vereinten Nationen – und der hörte ihm aufmerksam zu…
    »Es gibt nur eine Quelle wirklicher Macht auf Erden«, sagte John mit einem Gefühl, als fielen ihm Worte aus Stahl aus dem Mund, »und das sind die Menschen selbst. Das Volk. Und wenn ich das sage, rede ich nicht von etwas, das so ›sein sollte‹. Ich rede nicht von einer noblen Idee oder einem schönen Wunschtraum. Ich rede von einer Tatsache, die so unabänderlich ist wie die Bewegungen der Gestirne am Himmel. Ein Mensch, der Macht haben will, muss andere dazu bringen, ihm ihre Unterstützung zu erklären – das ist Demokratie –, oder sie dazu bringen, zu vergessen, dass sie die Macht haben, sie glauben machen, sie seien machtlos. Und das ist Tyrannei.«
    Er sah Paul an, der ihm ermutigend zunickte, dann Annan, der sich sacht über den krausen Bart strich. Aber ihm war, als säße er in diesem Moment wieder in Leipzig in der Nikolaikirche und als

Weitere Kostenlose Bücher