Eine Braut für alle
Praxis.»
Die nächsten fünf Minuten verbrachte Sir Lancelot mit der Betrachtung einer Radierung, die einen strengblickenden Mann mit großer Perücke darstellte - ich bildete mir ein, es sei Richter Jeffries. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und Mr. Alphonso Spratt schoß herein.
«Lieber Lancelot! Welch ausgesprochenes Vergnügen, dich wieder einmal zu sehen.»
Er war dünner als der Chirurg, sein Bart grauer, sein Haar länger, seine Stimme saftiger.
«Tut mir leid, mich ein bißchen verspätet zu haben», entschuldigte er sich kurz. «Aber in eben diesem Augenblick sollte ich im Apellationsgerichtshof stehen.»
«Und ich», sagte Sir Lancelot, ihm kühl die Hand schüttelnd, «sollte in eben diesem Augenblick in meinem Operationssaal stehen.»
Alphonso schien von dieser Bemerkung keine Notiz zu nehmen, sondern ließ sich im bequemsten Stuhl nieder und fuhr rasch fort: «Wollen wir uns unverzüglich mit dieser Kleinigkeit befassen, ja?»
Er zog aus einer Innentasche ein Etui aus Krokodilleder heraus und entzündete sich eine Zigarre.
«Dieser junge Mann ist mein Amanuensis», erklärte Sir Lancelot, als mich sein Bruder neugierig musterte. «Jetzt hör einmal zu, Alfie, im wünsche, daß dir von Anfang an die Bedeutung dieser Aktion klar ist. Ihr Zweck ist nicht einfach der, mich selbst zu rechtfertigen, sondern die gesamte Praxis der britischen Ärzteschaft. Ich kann nicht eindringlich genug darauf hinweisen. Ich persönlich war schon knapp genug daran, den ersten Wisch dieser unmöglichen Leute in den Papierkorb zu schmeißen —»
«Gott im Himmel, das war eine Klageschrift des Obersten Gerichtshofes, nicht ein Möbelprospekt», stammelte Alphonso schockiert.
Beckwith reichte ihm ein Bündel Papiere.
«Ja, aber hast du denn nicht Briefe deines Anwalts erhalten?» fragte der Gerichtsanwalt verblüfft.
«Klar, Mensch! Monatelang.»
«Wohin sind die gekommen, wenn ich fragen darf?»
«Hab sie natürlich zerrissen. Du kannst nicht erwarten, daß jemand von meinem Arbeitsvolumen kostbare Zeit mit einem Haufen prozeßsüchtiger Narren vergeudet. Schließlich ließ ich mich überreden, Beckwith aufzusuchen. Im Gegensatz zur übrigen Bevölkerung erachte ich glücklicherweise Geld, das für Rechtsberatung ausgegeben wird, nicht als in den Wind geschlagen. Obgleich die ganze Affäre selbstverständlich so lächerlich ist wie eine Operette von Gilbert und Sullivan.»
Alphonso paffte an seiner Zigarre. «Ich muß dir im Gegenteil raten, sie äußerst ernst zu nehmen.»
Sir Lancelot blickte verdutzt auf. «Aber hol’s der Teufel! Das Ganze ist doch nichts als feige Erpressung.»
«Das sind die meisten Prozesse», gab sein Bruder gelassen zurück. «Also jetzt laß einmal hören - wer ist dieser Herbert Egbert Thomas Possett?»
«Ein ungemein stupider junger Mann mit einem Zwölffingerdarmgeschwür, das in einem ungewöhnlich frühen Alter perforierte und das ich im St. Swithin völlig ordnungsgemäß wieder in Ordnung brachte», erklärte Sir Lancelot. «Er hat auch eine Mutter, die auf der Station schauerliches Ärgernis erregte. Ich halte die beiden für ein bißchen angeschlagen.»
«So?» Alphonso blickte auf. «Vielleicht könntest du das schriftliche Gutachten eines Psychiaters erbringen?»
«Verdammt noch mal, Alfie! Es hat doch nicht den geringsten Sinn, in diese Sache Psychiater, Rutengänger, Spiritualisten und wer weiß wen hineinzuziehen. Wenn ich sage, daß einer verrückt ist, so ist er’s, daran gibt’s nichts zu rütteln. Du willst doch nicht damit andeuten, daß jemand sich unterstehen könnte, meine Ansichten zu bezweifeln?»
«Aber er erklärt hier in seiner Schadensersatzklage, du hättest ihn überhaupt nicht operieren sollen.»
«Ich kann dir hier an Ort und Stelle versichern: hätte ich den undankbaren Idioten nicht operiert, sollte ich gehängt, nicht verklagt worden sein.»
«Du lieber Himmel», sagte Alphonso. Er zog ein Monokel aus seiner Westentasche und begann in den Papieren zu wühlen.
«Possett führt darüber Klage, daß er seit der Operation an Schmerzen in der Magengegend und Gedächtnisschwund leidet», bemerkte er nach einem Weilchen.
«Daran leidet die halbe Bevölkerung», erwiderte Sir Lancelot kurz. «Begreife doch bitte, Alfie, daß du dir nicht den Kopf über die eindeutigen medizinischen Fakten zerbrechen mußt. Überlaß das ruhig alles mir. Deine Aufgabe besteht einfach darin, diesen Kerl in seine Schranken zu weisen. Dann, versichere ich dir,
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