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Eine Braut fuer Lord Sandiford

Eine Braut fuer Lord Sandiford

Titel: Eine Braut fuer Lord Sandiford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Justiss
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für die hilfloseste, beschränkteste Frau halten, der er jemals über den Weg gelaufen war. Clarissa war von ihrer eigenen Dummheit, sich freiwillig in eine solche Lage begeben zu haben, um dann auch noch gerade dem Oberst über den Weg laufen zu müssen, angewidert und entsetzt.
    "Grosvenor Square", erwiderte sie zögernd.
    Nachdem Sandiford dem Kutscher das Fahrtziel mitgeteilt hatte, stieg er ebenfalls ein und setzte sich steif Clarissa gegenüber. Sein Gesicht, das durch die Lampe im Gefährt erhellt wurde, wirkte grimmig und verschlossen; er bemühte sich nicht einmal darum, ein Gespräch anzufangen.
    Wie eitel und töricht sie doch gewesen war, anzunehmen, dass sie, die unschlagbare Miss Beaumont, gefahrlos durch die Straßen der Stadt laufen konnte! Zum ersten Mal in ihrem Leben verstand sie die Gründe für die ihr so oft sinnlos erscheinenden Einschränkungen, die einer jungen Frau auferlegt wurden. Obgleich sie natürlich schon des Öfteren von Bürgern gelesen hatte, die auf der Straße überfallen worden waren, hatte sie doch nichts von der Wirklichkeit der Londoner Unterwelt gewusst – bis heute Abend, als sie ihre eigene, nur auf sich bezogene Welt für einen Moment verlassen hatte.
    Während sie stumm dasaßen, wurde Clarissa allmählich die Bedrohung klar, in der sie sich tatsächlich befunden hatte, bis der Oberst, wie vom Schicksal gerufen, ihr zu Hilfe geeilt war. Sie verdankte ihm nicht nur ihre Rettung, sondern wahrscheinlich auch die Unversehrtheit ihrer Tugend und vielleicht sogar ihr Leben.
    Entsetzen und Scham wichen schließlich einem Gefühl völliger Erschöpfung, und sie war den Tränen nahe. Auf einmal begannen ihre Schultern zu zittern, bis sie schließlich auch ihre Hände nicht mehr unter Kontrolle hatte. Ihr ganzer Körper bebte, und sosehr sie es auch versuchte, so schaffte sie es doch nicht, sich zu beruhigen.
    Die Kutsche fuhr nun langsamer. "In welchem Haus wohnen Sie, Miss Beaumont?"
    Clarissa versuchte, die Nummer über die Lippen zu bekommen, doch sie zitterte so sehr, dass sie nicht zu antworten vermochte. Schwindel überkam sie, und zum ersten Mal in ihrem Leben befürchtete sie, in Ohnmacht zu fallen.
    "Miss Beaumont?" Der Oberst war sofort hellwach. "Zum Teufel, Sie zittern ja am ganzen Körper. Was ist los?" Als sie nichts erwiderte, legte er die Hand auf ihre Schulter.
    Die Wunde, die ihr durch den Messerschnitt zugefügt worden war, schmerzte sie nun mit aller Heftigkeit, und Clarissa schrie auf. Leise fluchend zog Sandiford die Schleife ihres Umhangs auf und streifte ihn sachte von der Schulter. Was er sah, ließ ihn tief Luft holen; dann zog er die Handschuhe aus und holte ein Taschentuch hervor. Er knüllte es zusammen und presste es an ihre Schulter.
    "Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass der Schurke Sie verletzt hat?" fragte er mit zorniger Stimme. "Dafür wird er hängen! Verdammt und zuge… Miss Beaumont, eine Messerwunde ist nicht ungefährlich. Obgleich sie nicht tief zu sein scheint, müssen Sie sofort die Schulter untersuchen lassen. Ich geleite Sie ins Haus und lasse einen Arzt holen."
    Das Gesicht des Kutschers erschien am Fenster. "Welches Haus, Sir?"
    Clarissa malte sich in ihrer Verzweiflung die Szene aus, die bei ihrer Rückkehr folgen würde: hastig umhereilende Diener; ihre kleine französische Zofe, der Hysterie nahe; ihre Mutter, aus dem Schlaf gerissen und ebenfalls in Panik ausbrechend. Die unangenehmen, jedoch unvermeidlichen Erklärungen.
    Missbilligend schüttelte sie den Kopf. Sie musste leise und vor allem allein ins Haus schleichen.
    "Nein, nein", murmelte sie. "Mutter würde einen Anfall bekommen. Bitte … bitte lassen Sie mich hier heraus."
    Sie wollte aufstehen, doch die Beine wollten ihr nicht gehorchen. Voll Zorn über ihre Schwäche und verzweifelt darüber, dem verständlicherweise entsetzten Blick des Obersts nicht entkommen zu können, liefen ihr nun endlich doch die Tränen über die Wangen, und ihr Körper zitterte heftig.
    "Curzon Street Nummer vierunddreißig", wies Sandiford den Kutscher an. "Fahren Sie schon!" fuhr er ihn an, ehe dieser noch weitere Fragen stellen konnte.
    Der Oberst zog den Vorhang zu und setzte sich neben Clarissa. Dann nahm er sie in die Arme.
    Ihr Körper schien plötzlich willenlos zu sein, und sie schaffte es nicht, sich von ihm zu lösen. Die kräftige Brust des Obersts wirkte ein wenig beruhigend auf sie, und sie musste sich eingestehen, dass sie in diesem Augenblick nirgendwo anders sein wollte.

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