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Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
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unseres 35jährigen Zusammenlebens diese widerwärtige Abscheulichkeit getreten, die allem ihren peinvollen Stempel aufdrückt. Ich weiß, daß es auch Dir schwer ist, daß auch Du leidest, da Du mich liebst und gut zu sein suchst, es jedoch immer noch nicht zu sein vermagst, und dies alles ist mir so widerwärtig und peinlich, und Du tust mir so leid, denn ich liebe Dich mit der allerbesten,nicht körperlichen und nicht berechnenden, sondern geistigen Liebe.
    Lebe wohl und verzeih, liebste Freundin.
    Ich küsse Dich.
    L.T.
    Vernichte diesen Brief.
    Und schreibe mir auf jeden Fall oft.
    [...]
    Dies alles kann entweder unerwartet mit dem Tod von einem von uns beendet werden, und dies wird für jenen, welcher bleibt, ein ebenso schreckliches Ende sein wie für jenen, der stirbt, oder es wird durch eine freiwillige, innere Veränderung in einem von uns beendet. Diese Veränderung kann sich in mir indes nicht vollziehen: Ich kann nicht aufhören, das zu sehen, was ich bei Dir sehe; ich kann es nicht, denn ich sehe Deinen Zustand sehr klar und kann nicht gleichgültig dagegen sein. Um dagegen gleichgültig zu sein, müßte ich unser gesamtes gemeinsames Leben für beendet erklären, in meinem Herzen all jene Gefühle vernichten, welche ich für Dich empfinde. Es scheint, daß es nur die Möglichkeit gibt, daß Du aus Deinem somnambulen Zustand erwachst, in dem Du nunmehr durchs Leben gehst, und zum normalen Leben zurückkehrst. Möge Gott Dir dabei helfen. Auch ich bin bereit, Dir dabei zu helfen, Du mußt mir nur sagen, wie. [...]
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [17. Februar 1897]
    [Nikolskoje-Oboljanowo]
    Heute – Dienstag – erwachte ich matt und erschöpft, doch ich bin vollauf gesund und hoffe, arbeiten zu können. Ich bin wieder ganz in jenem Zustand, in dem ich vor unserer Reise nach Petersburg war 146 . Ich bitte Dich, Dir keine Vorwürfe zu machen;auch ich mache Dir keine Vorwürfe, nur mir selbst. Lebe einstweilen wohl, ich küsse Dich und bitte dich sehr, auf Dich achtzugeben, Dich nicht mit den Korrekturen zu quälen 147 und mich nach Moskau kommen zu lassen, wenn es Dir nicht gut geht. [...]
    L.T.
    Ich möchte Dir noch einmal schreiben, nach dem Gespräch am Telefon. Es ist mir traurig, traurig, ganz furchtbar traurig zumute. Ich möchte weinen. [...] Doch denke nicht, daß Du der Grund dafür bist. Ich schreibe Dir dies deshalb, weil in diesem Gefühl keinerlei Vorwurf gegen Dich oder Verurteilung Deiner Person ist, es gibt dafür überhaupt keinen Grund. Im Gegenteil, vieles an Dir – vor allem Deine veränderte Beziehung zu Tschertkow und Birjukow – macht mich glücklich. Ich schreibe dies, da man mit Logik bei Dir, ebenso wie bei allen Frauen, nichts erreichen kann, Logik bringt Euch auf, als ob sie eine unnatürliche Gewalt sei. [...] Und dessentwegen darf man nicht die Logik vor das Gefühl stellen, sondern muß das Gefühl vor die Logik stellen. Doch ich bin ganz und gar ratlos, ich weiß nur, daß es mich schmerzt, daß ich Dich verletzt habe, ich möchte dies gern ungeschehen machen, denn dies macht mich traurig. Doch es wird vergehen. Aber Du, Liebe, schreibe mir bitte, solltest Du traurig sein. Das Gefühl, daß Du mich brauchst, wird mich sehr glücklich machen. Dies ist alles. Man ruft zum Essen.
    L.T.
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [12.-13. Mai 1897]
    [Jasnaja Poljana]
    Allein zu lesen.
    Wie bist Du in Moskau angekommen und wie ergeht es Dir dort, liebste Freundin? Du hast bei Deinem Aufenthalt hiereinen so kraftvollen, munteren und schönen Eindruck hinterlassen, sogar allzu schön für mich, denn nun fehlst Du mir noch mehr als sonst.
    Mein Wiedererwachen zum Leben und Dein Aufenthalt hier – sind die stärksten und glücklichsten Eindrücke meines Lebens; und dies im Alter von 69 Jahren von einer 53jährigen Frau.
    Gestern verabschiedete ich die Molokanen mit dem Brief, um den sie mich baten 148 . Ich glaube, der Brief wird den Zaren nicht beleidigen. Was Dir beim Vorlesen allzu kämpferisch erschien, habe ich gestrichen. Heute gab es zwei erfrischende Gewitter mit Regen in Strömen. Der Sommer beeilt sich hereinzubrechen: Der Flieder wird bereits wieder blaß, die Linde bereitet sich auf ihre Blüte vor, in der Tiefe des Parks turteln im dichten Gebüsch die Tauben und Pirole, vor meinem Fenster singt eine überaus musikalische Nachtigall. Es ist Nacht, die Sterne leuchten wie frisch geputzt, und nach dem Gewitter liegt der Duft

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