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Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
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nach Twer abgereist, zuvor beteuert er mir, wie sehnlich er wünsche, ein besserer Mensch zu werden und legte in schönsten Worten seine Pläne für ein bescheidenes, sittliches Leben dar. – Doch, o weh, ich glaube ihm nicht mehr. [...]
    Es tut mir leid, daß Du Dich schwach und erschöpft fühlst. Du mußt besser essen. Iß doch wenigstens Eier, Du mußt bei Kräften bleiben, eine rein pflanzliche Ernährung ist im Alter, bei schwindenden Kräften nicht mehr ausreichend. Ich fühle mich mittlerweile wieder ganz gesund und schlafe gut; Dein Rat, früh zu Bett zu gehen, ist wohlgemeint, doch ohne Dich kann ich es nicht.
    Nun denn, lebe wohl, mein liebster Freund, gebe Gott Dir Seelenstärke, Ruhe und geistige Kraft für Deine geliebte Arbeit. Ich küsse Dich und alle meine Kinder. Lebe wohl und verzeih mir bitte alles, was Dir an mir nicht gefällt.
    Deine Sonja Tolstaja.
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [13. November 1896]
    [Jasnaja Poljana]
    [...] Du hast mich gefragt, ob ich Dich noch immer liebe. Meine Gefühle für Dich können sich, so glaube ich, niemals verändern, denn sie beinhalten alles, was zwei Menschen zu verbinden vermag. Nein, nicht alles. Die äußerliche Übereinstimmung im Glauben fehlt – ich sage äußerliche, denn ich glaube, die Mißhelligkeiten diesbezüglich sind lediglich äußerlicherNatur, und ich war stets überzeugt, daß sie überwunden werden können. Die Vergangenheit und die Kinder verbinden uns, ebenso wie die Anerkenntnis der eigenen Schuld, Mitleid und unbezwingbare gegenseitige Anziehung. Mit einem Wort: Alles ist sehr gut verpackt und verschnürt. Und ich bin darüber froh.
    Bei uns ist alles bestens. Alle verträglich und wohlauf. Ich möchte baldmöglichst wieder mit Dir vereint sein. Die Arbeit geht schlecht voran, und ich habe heute beschlossen, mir keine Gewalt mehr anzutun, sondern mich zu erholen. Heute ist ein herrlicher Tag, die Sonne scheint, ich ritt am Vormittag zu Bulygin und aß um 4 allein. [...] Man ruft mich zum Abendessen. Warum nur hat sich Deine Seelenlage immer noch nicht gebessert, wie Deine Briefe mir zeigen? So sehr, so sehr möchte ich bei Dir sein, und zwar – ohne mich loben zu wollen – vor allem Deiner und nicht meiner selbst wegen – doch da Du und ich dasselbe sind, eben auch meinetwegen.
    [...]
    Lebe einstweilen also wohl.
    L.T.

1897
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    1. Febr[uar 1897]. Am Abend.
    [Nikolskoje-Oboljanowo]
    Liebste Freundin Sonja,
    Tanja hat Dir geschrieben, wie wir angekommen sind und wie es uns hier ergeht, also alles, was das Äußerliche betrifft, ich möchte Dir schreiben, was Dich interessiert – das, was das Innenleben betrifft, meine Seelenverfassung.
    Ich reiste voller Trauer ab, Du hast dies gespürt und bist deshalb noch gekommen, indes vermochtest Du nicht, mein schweresHerz zu erleichtern, im Gegenteil Du hast es sogar noch schwerer gemacht. Du hast gesagt, ich möge ruhig sein, und hinzugefügt, Du werdest nicht zur Probe reisen 144 . Ich konnte lange nicht begreifen, was Du meintest: welche Probe? Ich hatte überhaupt nicht mehr daran gedacht. Und doch schmerzte es mich. Es war mir unangenehm, mehr als unangenehm, zu erfahren, daß Du [...] diese Reise [nach Petersburg] genau zu dem Zeitpunkt unternehmen mußt, an dem es unangebracht ist. [...] Ich weiß, daß diese Reise nichts bedeutet, doch unwillentlich spielst Du damit, bringst Dich selbst in Versuchung; bringst Dich in Versuchung und forderst damit meine Ablehnung heraus. Und Du spielst damit. Für mich ist dieses Spiel, ich bekenne es, unendlich peinigend, erniedrigend und seelisch ermüdend. [...]
    Es ist furchtbar, erniedrigend und beschämend, daß ein Fremder, ein überflüssiger und in jeglicher Hinsicht uninteressanter Mensch 145 unser Leben bestimmt, die letzten Jahre oder das letzte Jahr unserer Ehe vergiftet, es ist erniedrigend und quälend, daß man sich danach richten muß, wann er wohin fährt, welche Proben er wann abhält. Es ist furchtbar, furchtbar, widerwärtig und beschämend. Und dies gerade am Ende unseres Lebens, das wir gut und rein gelebt haben; gerade jetzt, da wir uns immer mehr einander angenähert haben, ungeachtet all dessen, was uns hätte trennen können. Diese Annäherung vollzog sich schon lange, noch vor Wanetschkas Tod, wir kamen einander wieder näher, vor allem in letzter Zeit, und plötzlich ist an die Stelle dieses einfachen, guten, glücklichen Gipfelpunkts

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