Eine Ehe in Briefen
des Flieders und der Birken in der Luft. An jenem Abend Deiner Abreise ist Serjosha hier angekommen; er klopfte an mein Fenster, und ich rief freudig auf: »Sonja!« Nein, Serjosha. Wir leben einmütig hier beisammen, allen geht es gut. Die Arbeit geht nicht schlecht voran. Heute abend fühle ich mich etwas besser, der Kopf schmerzt kaum mehr. Vielleicht ist diese Kränklichkeit ja auch nur das Alter. [...]
Lebe wohl, ich küsse Dich – Mascha, Mischa, was macht Mischa? Hat er sich wieder beruhigt? Wenn er tatsächlich derart liebt und geliebt wird, dann müßte ihn dies besonders zu lernen anspornen.
Nun mache ich Schluß. Es geht auf 1. Der 13.
L.T.
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
[14. Mai 1897]
[Moskau]
Heute erhielt ich Deinen liebevollen Brief, lieber Ljowotschka, und war danach so glücklich, daß ich, als ich die Pretschistenkaja zum Markt am Ochotny Rjad hinunterging, um für Euch Vegetarier einzukaufen, immerfort in meinen Gedanken mich mit Dir unterhielt und mir vornahm, Dir alles, was mir durch den Sinn ging, heute abend zu schreiben. Doch nun ist der Abend gekommen, und ich vermag gar nicht mehr, meine Gedanken und Gefühle in dieser Klarheit und Aufrichtigkeit darzulegen; die Betriebsamkeit des Tages hat sie ganz und gar verdreht, und ich bin nicht mehr imstande, jene Formulierungen zu finden, die ich heute morgen auf meinem Weg durch Moskau fand. Doch ich entsinne mich natürlich ihres Inhalts und werde Dir diesen darlegen, wie ich es kann. Ich dachte darüber nach, wie oft es dies in unserem Zusammenleben gab – dieses Auf- und Abwogen unseres Verhältnisses. Und welch seelische Kraft und Freude mir seine Gipfelpunkte stets gaben. Heute schien mir, daß es möglich sein wird, auch zum Ende unseres Lebens noch einmal einen solchen Gipfelpunkt zu erreichen, was mich sehr glücklich machen würde. Wir sollten versuchen, unsere Einhelligkeit nicht dadurch zu zerstören, indem wir unsere grausamen Tagebücher lesen oder einander mit Eifersucht, Vorwürfen quälen oder mit Verachtung dafür, womit sich der andere beschäftigt. Wir müssen unsere Beziehung behüten. So vieles ist schon unumkehrbar verloren, und so schmerzlich ist die Berührung mit allem Quälenden der Vergangenheit.
[...] Gestern abend spielte Juscha Pomeranzew 149 sehr lange, und heute vormittag kam Tanejew und spielte mir seine Sinfonie vor. Einige Male arbeitete er hier im Garten im Teepavillon.
Ich bin weiterhin beständig mit den Korrekturen beschäftigt;bis drei Uhr nachmittags sitze ich mit Maria Wassiljewna daran, am Abend bis drei Uhr des Nachts dann allein. Es ist schrecklich ermüdend; und dann noch das Packen für den Umzug nach Jasnaja, die Einkäufe, die Gäste. [...] Mischa ist im Griechischen offensichtlich bereits durchgefallen, Latein hofft er morgen zu bestehen. Den ganzen Tag hat er heute zu Hause gelernt. Wie kalt es wieder geworden ist! Ich mache mir etwas Sorgen Saschas wegen, da sie mit der ziemlich hilflosen Mademoiselle Aubert reisen wird. [...] Wann ich selbst kommen werde, weiß ich noch nicht; außer den Korrekturen sind noch ein Haufen typographischer Arbeit und finanzieller Angelegenheiten zu erledigen. Und die Zähne. Das kann nicht aufgeschoben werden. Ich bin müde dessen, daß ich nicht bei Dir und in der Natur und der Ruhe bin. Und so wird der Frühsommer in diesem Jahr vermutlich voller Arbeit vorübergehen. [...] Lebe wohl, ich mache mich nun wieder an die Korrektur, obgleich es bereits auf ein Uhr geht.
Deine Sonja Tolstaja.
[Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
Nachts, am 19. Mai [1897]
[Jasnaja Poljana]
Liebe und teure Sonja.
Deine erneute Annäherung an T[anejew] ist mir nicht unangenehm, nein, sie ist schrecklich quälend für mich. Wenn ich weiterhin unter diesen Bedingungen leben muß, so vergifte und verkürze ich mein Leben. Es ist nunmehr ein Jahr, daß ich nicht mehr arbeiten und nicht leben kann, sondern mich ohne Unterlaß quäle. Du weißt dies. Ich habe Dir dies in verärgertem und in bittendem Ton gesagt, in letzter Zeit habe ich allerdings überhaupt nichts mehr gesagt. Ich habe alles versucht, nichts hat geholfen: Deine Freundschaft zu ihm wird zunehmend näher, und ich weiß, daß dies weiterhin so sein wird. Ich kann diesnicht länger ertragen. Nachdem ich Deinen letzten Brief erhalten hatte, wollte ich fortgehen. Drei Tage lang lebte ich mit diesem Gedanken und kam zu dem Schluß, daß ich mich, und sei mir die Trennung
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