Eine Ehe in Briefen
denke über Dich, über alles und alle nach. Während ich Kaffee trinke, sind die Kinder beim zweiten Frühstück. Ich sitze mit Mamá zusammen, koche Marmelade ein oder nähe; vor dem Essen fahren wir zum Baden, danach sitzen wir auf dem Balkon, unterhalten uns und nähen. Dann laufen die Kinder und bisweilen auch wir am pas-de-géant , am Abend sitzen wir wieder beieinander, auch Tanja leistet uns Gesellschaft. [...]
Voller Ungeduld erwarte ich heute Briefe von Dir. Ich habe mittlerweile sechs erhalten und danke Dir, mein Lieber, daß Du mir so oft schreibst. [...] Die Briefe sind ein solcher Trost. Zuweilen bekümmert es mich, daß Du auf alle Bequemlichkeiten verzichten mußt. Leidest Du sehr darunter? Wirkt sich dies nicht abträglich auf Deine Gesundheit aus? Der Kumys wird Dir wohltun, dies ist sicher; doch werde nicht schwach und bleibe die vereinbarte Zeit dort. [...]
Die Kinder wollen Dir auch schreiben, doch das Pilze sammeln, Beeren sammeln, das pas-de-géant , das Baden usw. nimmt ihre ganze Zeit und Leidenschaft in Anspruch. Sie haben sich sehr über Deine Zeilen an sie gefreut. Haben gelacht und ihre Kommentare abgegeben. Serjosha ist sehr interessiert zu erfahren, ob Du das Pferd und den Hund, die Du dort kauftest, mitbringen wirst. Lebe nun also wohl, ich küsse Dich wieder und wieder. Deine Sonja.
7. Juli
[Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
[27. Juni 1871]
[Karalyk]
Heute, am 27., habe ich des Morgens Deinen Brief vom 13. erhalten. Er ist vermutlich am 14. aus Tula abgegangen, und auch Du hast meinen ersten Brief bereits. Einen Brief von Dir zubekommen, ist wie ein kleines Rendezvous: Ich empfinde dasselbe Gefühl der Ungeduld, Freude und Angst, wenn ich ihn zur Hand nehme, als ob ich nach Hause komme. [...]
Meine Gesundheit ist nicht schlecht, aber ich kann nicht sagen, daß sie gut sei – es ist ein Auf und Ab. Vor ein paar Tagen begann ich zu husten und hatte ein Stechen in der Seite, das ist nun aber wieder von selbst vergangen. [...] Hier die Beschreibung unseres Alltags: Ein baschkirisches Dorf, ihr Winterlager, befindet sich in zwei Werst Entfernung. Im Nomadenlager, auf dem Feld beim Fluß, leben nur drei Baschkirenfamilien.
Unser Wirt (er ist Mullah) besitzt vier Jurten; in der einen wohnen er mit seiner Frau und sein Sohn mit der seinen (der Sohn Nahim, den ich von damals 124 noch kenne, als er ein Junge war), in der zweiten Gäste. Es kommen unentwegt Gäste, Mullahs, und von früh bis spät wird Kumys getrunken. In der dritten Jurte leben zwei Männer, die sich ebenfalls einer Kumys-Kur unterziehen [...], in der vierten, einer sehr großen, die einstmals als Moschee diente und sehr undicht ist (gestern nacht regnete es durch) wohnen wir. Ich schlafe in einem Bett auf Stroh und Filz, Stjopa auf einem Federbett auf dem Boden und Iwan auf seinem Ledermantel in der anderen Ecke. Es gibt einen Tisch und einen Stuhl. Ringsherum hängen verschiedene Sachen: Auf der einen Seite unser Buffet und die Produkte, wie Iwan unsere Verpflegung nennt, auf der anderen die Garderobe mit der Kleidung, schließlich unsere Bibliothek und das Arbeitszimmer. Allerdings war dies nur zu Beginn so, nunmehr ist alles durcheinander geraten. Besonders die Hühner, die wir gekauft haben und die mir ein Pope einfach so schenkte, bringen alles in Unordnung. Dafür aber schenken sie uns jeden Tag vor unseren Augen drei Eier. Außerdem befinden sich hier auch noch der Hafer für die Pferde und ein Hund, ein prachtvoller schwarzer Setter. Das Pferd ist hellbraun und leistet mir gute Dienste. Ich stehe sehr früh auf, oft gegen halb 6 (Stjopaschläft bis 10), trinke Tee mit Milch, drei Tassen, und gehe in der Nähe der Jurten etwas spazieren, sehe den Pferdeherden zu, die aus den Bergen zurückkehren, was überaus eindrucksvoll ist – um die tausend Pferde, die in kleinen Gruppen laufen, unter ihnen auch Fohlen. Dann trinke ich Kumys und mache gewöhnlich einen Spaziergang ins Dorf, dort wohnen die anderen Freunde des Kumys, alle sind natürlich untereinander bekannt. [...] Ich suche sie mit Stjopa zusammen in der Regel zweimal täglich auf sowie auch die mir bekannten Baschkiren und mache eine ausgedehnte Wanderung oder einen Ausritt. Es gibt jeden Tag Hammelfleisch, das wir aus einer Holzschüssel mit den Händen essen. Zu Stjopas Trost habe ich in Samara Pastillen und Marmelade gekauft, und er genießt diese Produkte zum Dessert.
In 30 Werst Entfernung von hier steht ein Grundstück zum
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