Eine Ehe in Briefen
vergiftet sein, daß Du fortwährend kränkeln wirst und deshalb nicht mehr glücklich und froh sein kannst? Was ist das für eine Dame, diese Timrot 129 , mit der Du Ausritte unternimmst? Mein unvernünftiges Gemüt ist ein wenig beunruhigt, obgleich ich weiß, daß Du mich dafür schelten wirst und jetzt im Moment gerade aufstöhnst, daß ich so empfindlich bin. Aber dies ist die schlechteste meiner Eigenschaften, und auch wenn ich mich zu beruhigen suche, ist doch ein Stimme in mir, die spricht: »Und wenn doch etwas ist?« [...]
Das Wichtigste aber ist, daß ich Dir von hier wieder nur das Beste berichten kann. Alle sind wohlauf und glücklich. [...] Meine kleine Mascha ist zwar nicht so gesund und kräftig, wie ich es mir wünschte, doch hat sie zugenommen. [...] Iljuscha amüsiert alle mit seinen originellen und lustigen Einfällen. Zum Namenstag bekam er ein Gewehr und eine Trommel. Er dachte sich aus, daß er in die Armee zieht und Serjosha und eine Bauernmagd, die seiner Frau die Wäsche waschen würde, mitnimmt. Als man ihn fragte, warum er denn eine Frau brauche, antwortete er: »Damit es nicht langweilig wird.« [...] Serjosha möchte immerfort reiten, und als wir vor ein paar Tagen eine Ausfahrt machten, ritt er mit Leonid und Warja nebenher, und sie übersprangen nacheinander einen Bach. Die kleine Tanja sagte dann zu Ilja: » Serjosha is the best .« 130 Das hat mich amüsiert und stolz gemacht.
Heute haben wir hier viele Namenstagskinder; wir waren beiTanja eingeladen, tranken Tee und aßen den Dir verhaßten Kuchen 131 . Sie feierte ihre kleine Mascha. Zum Essen kamen alle zu uns. [...] Und doch denke ich in jeder Minute an Dich. Alles, was ich sage und tue, überdenke ich: Ist es gut oder würde er es tadeln? Und mir scheint, daß Du nichts zu tadeln hättest. [...] Lebe wohl, liebster Freund, ich küsse Dich fest; noch zwei Wochen lang werden wir uns nicht sehen, das ist schrecklich lang, wie soll ich es überleben? [...] Mein größter Trost sind die Kinder und der Gedanke daran, welches Glück es sein wird, wenn wir uns wiedersehen.
Deine Sonja.
[Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
20. Juli [1871]
[Karalyk]
Gestern ritt ich erneut zu Timrot und erhielt wieder Briefe von Dir – drei –, und zwar vom 4., 7. und 10. Wie immer überflog ich zuerst den letzten, überzeugte mich, daß alles in Ordnung ist und hob mir die anderen für später auf. Ich las sie bis 12 Uhr in der Nacht und konnte danach lange nicht einschlafen. [...] Meine Gesundheit ist gut. Ich fürchte es auszusprechen, doch es scheint, daß ich zugenommen habe und dicker geworden bin. Meine Nerven scheinen gestärkt. Das einzige, was zu beklagen ist, ist ein gelegentlicher Schmerz in der Seite, allerdings nur ein schwacher. Ich habe mich gerade erst an den Kumys gewöhnt und trinke ihn begeisterter als früher. [...]
Die Angelegenheit mit dem Landkauf steht auf der Stelle. Ich habe noch keine Antwort. [...] Unter anderem haben auch Deine Worte mich gegen den Kauf erkalten lassen. Gottes Wille wird entscheiden. Aber Deine Auffassung von der Steppe ist unzutreffend. Ohne einen einzigen Baum auf Hunderte von Werst zu leben, mag in der Umgebung Tulas schrecklich sein, hier jedoch stellt es sich ganz anders dar: Die Luft, die Gräser,die Trockenheit und die Wärme werden auch Dich die Steppenlandschaft liebgewinnen lassen. [...]
Du kannst zufrieden mit mir sein. Ich habe 6 Wochen eisern ausgehalten und erlaube mir keine Abweichung von meiner Kur. [...] Einen einzigen Tag mehr als notwendig Dich nicht zu sehen, werde ich aber ganz bestimmt nicht zulassen. So schwer sind mir also das Familienleben und das Kindergeschrei! Ich kann es gar nicht erwarten, die Duette von Ljolja und Mascha wieder zu vernehmen. Es macht mich glücklich, daß sie sich so gut entwickelt.
Iljuscha gratuliere ich zum Namenstag und küsse ihn. Für Serjosha, Tanja und Iljuscha bringe ich etwas Tartarisches mit, sollte ich über Nishni fahren. Heute habe ich Stjopa beauftragt, Gräser zu sammeln, damit auch Du Dir eine Vorstellung von der Pflanzenwelt der Steppenlandschaft machen kannst. Alle sind unterwegs, nur Du Arme sitzt allein zu Hause. Wenn ich zurück bin, überlegen wir uns, was wir unternehmen können. – Ich habe hier zu zeichnen begonnen. Zum Lesen, besonders Griechisch, habe ich gar keine Lust (freue Dich). [...]
Lebe wohl, mein Herz. Nicht mehr lang. Morgen schreibe ich den letzten Brief aus Karalyk. Küsse die Tantchen,
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