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Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
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schreibe Dir am Abend auf dem Schiff, damit ich den Brief morgen früh in Kasan aufgeben kann. Die Knaben schlafen bestens hier neben mir; die Fahrt auf dem Schiff war bisher ruhig und, wie immer, kein bißchen langweilig. Es gibt ein paarneue Gesichter, interessante Persönlichkeiten, so ein Professor aus Helsingfor, der die Religion der heidnischen Tscheremissen, des einzigen finnischen Stammes, der sich nicht zum Christentum bekehrte, erforschen will. [...] Das Gefühl der Schande, das ich empfand, da ich das Geld verlor, ist immer noch nicht vergangen. [...]
    Bist Du denn unglücklich ohne mich? Bitte, laß Dich nicht gehen. – Ich sehe es vor mir, wie Du – falls Du, Gott behüte, gerade schlechter Stimmung bist – jetzt sagst: »Wie soll ich mich denn nicht gehen lassen. Ja, fortfahren, mich allein lassen usw.« Oder besser: Ich sehe, wie Du lächelst, wenn Du dies liest. Ich bitte Dich, lächle.
    Heute ist Serjoshas Prüfung, bitte schreibe mir, was der Direktor sagte. Ich hoffe, daß Serjosha, wenn er sich schon nicht auszeichnet, so doch wenigstens nicht mit dem Gesicht in den Dreck fällt. Ich küsse Tanja und bitte sie, ihre Beine ein wenig zu strecken, die Zähne zu putzen und sich nicht über Häkchen und Knöpfchen zu verdrießen. Hier auf dem Schiffe tun alle junge Damen dies. Die lieben »Geschwister« Tanja und Stjopa küsse ich ebenso und bedanke mich, daß sie Dich umsorgen. Ich weiß, daß sie dies tun.
    Lebe wohl, mein Herz. Ich küsse Dich und Andrjuscha. Mascha habe ich und werde ich nicht vergessen, ich liebe und küsse sie. Dein L.T.
    [Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
    18. Juni 1878. 12 Uhr in der Nacht.
    [Jasnaja Poljana]
    Heute kam der Brief, den Du auf dem Schiff schriebst und in Kasan aufgabst. Warum hast Du Dich des Geldes wegen denn immer noch nicht beruhigt? Bei Gott, es ist nicht schade drum, vergiß es, wir werden den Verlust dieser 300 Rubel gar nicht bemerken. [...]
    Ich möchte so bald als möglich bei Euch sein, doch wenn ich den dünnen Hals Andrjuschas sehe und seine eingefallenen Augen, dann denke ich bei mir: »Nein, um nichts in der Welt reise ich dorthin.«
    Ich werde entscheiden, wenn ich Dein Telegramm erhalte. Vorgestern hatte mein Kleiner starkes Erbrechen, und ich war ganz verzweifelt, denn ich dachte, dies sei wieder eine Hirnhautentzündung 171 . Gestern hatte er Durchfall und heute geht es ihm, nachdem es wieder wärmer geworden ist, schon bedeutend besser. [...] Die Großen betragen sich gut, spielen erwachsen. Serjosha ist zuweilen gar etwas übermütig, doch gibt sich dies rasch, wenn ich ihn dafür tadle. Der Direktor hat mir seine Zensuren noch nicht mitgeteilt, doch man hört, er habe die Prüfungen bestanden, nur in Latein habe er wohl gerade noch ein »mangelhaft«. [...]
    Wie kannst Du nur fragen: »Bist Du denn unglücklich ohne mich?« Zweifelst Du etwa daran? Nun, unglücklich bin ich gewiß nicht (dafür habe ich gar keine Zeit), doch bin ich Deinet- und der Kinder wegen ganz furchtbar besorgt und muß mich mit ganzer Seelenkraft zwingen, daß sich nicht Schwermut und Sorge um Euch meiner bemächtigt. Was geht mir nicht alles durch den Sinn! Und nicht allzu bald sehen wir uns wieder. Wie habt Ihr es Euch nun auf dem Gut eingerichtet; habt Ihr nicht vergessen, alle Vorräte zu besorgen, da meine Liste mit der Brieftasche verlustig ging? [...] Ich küsse meine lieben Söhne und denke sehr oft an sie. Wenn ich komme, werden sie mir viel zu erzählen haben. Monsieur grüße ich. Gebe Gott, daß wir uns alsbald wiedersehen, daß wir reisen können. Lebe wohl, Liebster, ich gebe nun dem Kleinen die Brust, er weint, und dann gehe ich zu Bett.
    Sonja.
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [18. Juni 1878]
    Ich schicke Dir zwei hübsche Briefe der Knaben. Sie schrieben sie heiter und gern. Der Müdigkeit wegen waren sie bisweilen etwas unleidlich, nun aber sind sie friedlich, frohgemut und lieb. Ich setze meinen Bericht fort, von dem Zeitpunkt, seit ich Dir den letzten Brief schrieb, als wir mit dem Schiff nach Samara fuhren. Um 8 Uhr legten wir an, nahmen einen Wagen und fuhren die Vorräte besorgen. Wir erledigten alles und erreichten ohne Eile den Zug. Er fährt um 10 vor 10 ab.
    Wir fuhren III. Klasse, nicht beengt und gut, und kamen nach 2 Stunden in Bogatowo an. Dort erwartete uns Lutaj 172 mit einem sehr alten, aber soliden und bequemen Wagen. Um 3 fuhren wir los. [...] Ohne Unannehmlichkeiten kamen wir um 9

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