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Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
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ergösse sich aus mir ein Strom leidenschaftlicher, zärtlicher und fordernder Worte, daß Du damit auch nicht zufrieden wärest. Mir ist bisweilen, in jeglicher Hinsicht, so unsagbar schwer ohne Dich; doch ich habe mich der Idee ergeben, meine Pflicht gegen Dich zu erfüllen, gegen Dich alsSchriftsteller und Mensch, welcher vor allem der Freiheit bedarf, und daher verlange ich nichts von Dir.
    Dieses Gefühl der Pflicht empfinde ich auch den Kindern gegenüber. Doch wohl kaum kann ich alles in die Tat umsetzen, was ich mir wünschte. – Und schließlich schrieb ich Dir ja bereits, daß es für mich schmerzlicher ist, Dich hier in Moskau leiden zu sehen, als Dich gar nicht zu sehen. – Welch wundervoller Stimmung scheinst Du zu sein! Deine Rührung durch die Musik, Deine Eindrücke der Natur, Dein Verlangen zu schreiben – das alles bist Du, der Du wirklich bist, jener, den Du in Dir auszulöschen suchst, der aber doch so wundervoll, liebenswert, gütig und poetisch ist, jener, den alle, die Dich kennen, so sehr lieben. Du wirst ihn nicht auslöschen, so sehr Du auch danach streben magst.
    [...] Was Deine Absicht betrifft, die Wirtschaft zu führen, so habe ich es genau so verstanden, doch hier erscheint das ewige Aber; denn ohne Mittel kann man nicht überleben, dies darf man nicht vergessen, denn sogleich begönne jenes furchtbare Darben, Leiden, daß man kein Geld hat, denn von allen Seiten wird etwas verlangt und ähnl. Unannehmlichkeiten, die das Leben ruinieren. Dies alles kannst Du nicht ertragen und ich ebensowenig.
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [8. Dezember 1884]
    [Jasnaja Poljana]
    Verbrachte einen herrlichen Tag. Es ist nun 6 Uhr am Abend. Gestern, als ich aus dem Bahnhof trat, mich im Schlitten niederließ und durch den weichen, glatten, einen halben Arschin 101 hohen Schnee fuhr, der in der Nacht gefallen war, in dieser Stille und Friedlichkeit, mit dem wundervollen Sternenhimmel über mir und dem sympathischen Mischa 102 neben mir, erfaßte mich ein Gefühl der Verzückung, das nur noch stärker warnach der Fahrt im Waggon mit einer rauchenden, mit Armbändern behängten Gutsbesitzerin, einem jüdischen Arzt, der Reden darüber schwang, daß die Todsstrafe aufs schärfste zu verhängen sei [...] und einem Kondukteur, der mich an der Schulter stieß, da ich nur einen Halbpelz trug. Nach all diesem – Orion und Sirius über Sasseka, weicher, lautloser Schnee, ein schönes Pferd und der gute Mischa, gute Luft und der gütige Gott. Im Kontor war geheizt, doch mir schien es kohlendunstig (Einbildung). [...]
    Wie wenig ich auch benötigen mag – dieses Wenige ist doch so viel. Wir gingen ins Haus, packten verschiedene Dinge zusammen; dann erinnerte ich mich der Eier. Sie wollten jemanden schicken, doch ich ging selbst ins Dorf. Während ich so ging, dachte ich über folgendes nach: Wir sagen, daß wir nur wenig benötigen und benötigen, d.h., ich benötige doch so viel, daß ich mich schäme, dies alles als selbstverständlich hinzunehmen. Ich ging und kaufte Eier, und ich fühlte mein schlechtes Gewissen. [...] Statt sie der armen Mutter von Wlas zu geben, fraß ich sie selber. – Nach dem Frühstück machte ich mich an meinen Aufsatz 103 und schrieb ein wenig. [...] Dann hackte ich Holz, um mich aufzuwärmen und ging zu Bibikow. Es liegt eine Unmenge von Schnee, die Wege sind noch nicht ausgetreten. Auf dem Berg überholte mich ein Schlitten mit einer Bauersfrau und zwei Mädchen und zwei Knaben; ich fuhr mit ihnen. Die Frau begann von ihrem schrecklichen Schicksal zu berichten – sie hat drei Töchter, eine noch ein Säugling, und nichts zu essen, war bei ihrer Mutter, um bei ihr Geld für Brot zu erbitten. [...] Die Frau brach in Tränen aus, und die Mädchen und Jungen (aus Jassenki, waren zum Spaß einfach mitgefahren), lachten, lärmten und brachen Zweige, um das Pferd anzutreiben, das am Schlitten angebunden war und hinter ihm herlief. Es will nicht mehr vorwärts und bleibt stehen. Es ist mir eine Freude zu helfen, und ich nehme mich des Pferdes an, es ist alt und mager, geht 100 Schritte und bleibt wieder stehen.Ich führe es ohne Schläge nach Teljatinki. [...] Dann fuhr ich mit den Mädchen und Knaben wieder zurück. [...] Es schneite und wurde bereits dunkel, meinen Gefährten wurde ängstlich und bange zumute, besonders Gruschka, der Tochter von Awdotja. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, doch ihre Stimme und die Art, wie sie spricht, sind ebenso singend

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