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Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
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macht es mich traurig, daß Deine geistigen Kräfte beim Holzhacken, Heizen des Samowars und Stiefelnähen verschwendetwerden – was alles wunderbar ist als Erholung oder Ablenkung, nicht aber als Hauptaufgabe. – Genug davon. Wenn ich dies nicht niedergeschrieben hätte, so wäre mein Verdruß geblieben, nun aber ist er vergangen, es mutet mich zum Lachen an, und ich beruhige mich mit der Redensart: »Laß dem Kind sein Spielzeug, damit es nur nicht weint«.
    [...]
    Gestern hatte ich eine kleine Auseinandersetzung mit Ljolja. Am Tag, als wir ankamen, war er nicht im Gymnasium [...], behauptete der Madame gegenüber, er habe Leibschmerzen. Sie glaubte ihm nicht und unterschrieb nicht in seinem Stammbuch. Er bat mich zu unterschreiben, doch ich erwiderte ihm, ich könne nicht lügen, denn ich wisse ja nicht, ob er, während ich in Jasnaja weilte, tatsächlich Leibschmerzen gehabt hätte. Er bedrängte mich, doch ich blieb fest. Serjosha verläßt das Haus jeden Morgen, sagt, er ginge ins Laboratorium. Ilja ist überaus lieb und sieht sehr frisch aus. Mascha gewöhnt sich einen regelmäßigen Tagesablauf an und will fleißig lernen. [...] Die Kleinen lärmen und werden einem lästig, das Leben hier geht noch nicht seinen gewohnten Gang. Allein Sascha 96 lächelt zärtlich und glücklich, kaum einmal hört man etwas von ihr. Und wenn man etwas hört, so tut sie einem gleich leid. [...]
    Eben erhielt ich deinen zweiten, schönen Brief. Ich mache Dir Vorwürfe, daß Du Dich allzu sehr der körperlichen Arbeit hingibst, tatsächlich aber ist es im Gegenteil so, daß Du allzu schwer geistig arbeitest. Das wichtigste, liebster Freund, ist, daß Du auf Dich achtgibst; damit ich zufrieden bin, braucht es nur eines, nämlich daß Du glücklich, gesund und nicht leidend bist. Dessentwegen zerbreche ich mir ja in einem fort den Kopf, wie ich das Leben in Moskau so gestalten kann, daß Du es durchstehen kannst. Ich werde es wohl kaum vermögen, doch ich wünschte es so sehr!
    [...]
    Lebe wohl, liebster Freund, ich küsse Dich; ich sah Dich plötzlich so lebendig vor mir, daß ich ganz von einem zärtlichen Gefühl für Dich erfaßt wurde. In Dir ist so viel Kluges, Gütiges, Naives und Beharrliches, und all dies strahlt nach außen in einem nur Dir eigenen zärtlichen Mitgefühl für andere und einem Blick, mit dem Du den Menschen direkt in die Seele siehst.
    Sonja.
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [26. Oktober 1884]
    [Jasnaja Poljana]
    Gestern erhielt ich Deinen Brief, den Du nach dem Besuch beim Arzt geschrieben hast, und es wurde mir ganz furchtbar traurig und schwer zumute, besonders aber bin ich mir selbst widerwärtig geworden 97 . An allem trage ich die Schuld – ich, das grobe, egoistische Tier! Und ich bin hochmütig, verurteile andere und schneide die Grimasse des Wohltäters! Ich kann Dir nicht sagen, wie schwer mir das war. [...]
    Bitte, schreibe mir ausführlich über Deinen Zustand. Ich habe Deinen Brief vernichtet und werde auch die weiteren vernichten. – Warum nur gelingt es Dir nicht, Dir Erholung und Schlaf zu gönnen. Diese sind auf jeden Fall das wichtigste, um gesund zu werden. Sage Tanja, es sei ihre Aufgabe, es Dir so einzurichten, daß Du des Abends nicht allzu lange aufbleiben mußt und daß Du nicht geweckt wirst. Es ist schön, daß die Knaben in guter Verfassung sind.
    Ich unternehme nichts mehr, denn ich bin mir selbst zuwider. Lebe wohl, mein Herz, küsse die Kinder von mir. Es ist wohl tatsächlich so, daß Du allzu betriebsam bist. Deine Briefe sagen mir gar nichts über Deine seelische Verfassung.
    L.
    [Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
    [27. Oktober 1884]. Samstag.
    [Moskau]
    [...] Nun aber, mein liebster Freund, so sehr hast Du Dich um meine Gesundheit gesorgt? Du trägst absolut keine Schuld; wir beide haben Schuld, es ist nun einmal geschehen, vielleicht ja auch einfach aufgrund einer mechanischen Verletzung bei der Geburt. Gestern ging es mir sehr schlecht, ich hatte große Schmerzen und ohne Unterlaß floß etwas aus, als ob innen eine Geschwulst aufgeplatzt sei, aber heute plötzlich floß bis jetzt kein Tropfen mehr, und es ging mir viel besser. Ich denke, daß der Arzt bewußt eine über lange Zeit entzündete Verletzung geöffnet und sie gereinigt hat; nun wird sie langsam heilen; doch es braucht natürlich Vorsicht. Ich bewege mich sehr langsam, gehe nicht aus und einzig jener Gedanke, nämlich [...] daß ich alles im Hause in

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