Eine Ehe in Briefen
Stimmung. Gott sei es gedankt, daß es Dir mittlerweile besser geht.
Bei uns gibt es nichts Besonderes. Mascha besucht täglich diedrei Garküchen im Bezirk Rychot in 4 Werst Entfernung. Dort gibt es viel zu tun – man muß die Hausfrau beaufsichtigen (in deren Haus die Ausspeisung untergebracht ist), die Bittsteller einlassen und Versuche des Mißbrauchs zurückweisen. Die gibt es auch hier. [...] Tanja hat sich das nächstgelegene größere Dorf vorgenommen, wo von der Bezirksverwaltung bereits Mehl ausgegeben wird, doch ungeachtet dessen gibt es dort immer noch viele Bedürftige, denen sie helfen möchte. Heute wollte sie damit beginnen. Vera unterrichtet in der Schule, sie ist voller Begeisterung bei der Sache; bisweilen ist sie mit unseren Töchtern unterwegs. Ich wandere oder reite in die drei Garküchen im Bezirk Rychot, des Morgens schreibe ich. [...] Ich beende gerade mein großes Werk 23 . [...] Heute will ich noch einen Artikel mit der Beschreibung der Garküchen abfassen. Dies ist überaus wichtig. Wie man sie einrichtet, damit ein jeder wisse, wie man dieses wundervolle, einfache, praktische, dem Volk nahe Mittel, das besser als alle anderen ist, nutzen kann. Dies ist um so bedeutsamer, als Du in Deinem Aufruf davon sprichst. Dein Aufruf ist sehr gut. Nur, daß Du über uns anscheinend voller Lob sprichst, ist mir unangenehm. Doch insgesamt ist er sehr gut. [...] Ich habe gestern den ganzen Vormittag zu Hause verbracht und beschloß daher, 4 Werst am Don entlang zu den Mordwinows 24 zu wandern. Dies ist ein prachtvoller Spaziergang. Tanja wollte mich begleiten, dann beschloß auch Iw[an] Iw[anowitsch], sich uns anzuschließen, dann auch noch Mascha [...]. Es schneite und ging starker Wind. Und nachdem wir hier angekommen waren und einige Zeit zusammengesessen hatten, erwies es sich, daß die Rückfahrt unmöglich sei – der Schneesturm war zu stark geworden. So blieben wir also und übernachteten hier. [...] Nun ist es Morgen, und ich schreibe Dir von den Mordwinows, vor allem auch deshalb, da Du, solltest Du von dem Schneesturm gehört haben, Dich unseretwegen beunruhigen wirst. [...] Dies sind alle Neuigkeiten. Ich küsse Dich und die Kinder und warteauf gute Nachrichten von Dir, ebenso wie ich hoffe, Dir gute senden zu können.
L.T.
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
[6. November 1891]
[Moskau]
Eigentlich möchte ich Euch nicht beunruhigen, meine Lieben, doch allzu bang ist mir heute zumute: Alle Kinder liegen im Bett. Wanetschka hat 39,3° Fieber, es tut ihm nichts weh, jetzt ist es 12 Uhr, und er schläft.
Andrjuscha hat 38,3°, sein Hals ist gerötet. Mischa hat 38°, auch ihm tut nichts weh, nur ein wenig schmerzt es unter der Schulter. Sascha hatte die ganze Nacht über Zahnschmerzen, auch ihr Hals ist ein wenig gerötet. Alle liegen sie im Bett. [...]
Nun zu Euren Angelegenheiten: Auf meinen Aufruf in den »Russkije wedomosti« hin wurden insgesamt 3200 Rubel gespendet. Gestern brachte die Morosowa 25 1000. [...] Ich warte auf Eure Mitteilung, wohin ich Euch 1200 Rubel schicken lassen soll. Und ich bitte Tanja inständig, sie möge peinlich genau notieren, wofür das Geld ausgegeben wird – je genauer und anschaulicher, desto besser –, denn es muß ein Rechenschaftsbericht veröffentlicht werden, es gab zahlreiche Andeutungen diesbezüglich.
Dein Artikel, lieber Ljowotschka, ist heute erschienen. [...] Ihr werdet vermutlich die Zeitungen erhalten, doch ich lege zwei Exemplare der »Russkije wedomosti« bei. Soeben war Sobolewski hier und überbrachte 273 Rubel Honorar für den Artikel. Sobald ich von Euch Nachricht erhalte, kann ich also noch mehr Geld schicken, vielleicht ergibt sich ja die Möglichkeit, eine Wagenladung Getreide o.ä. zu kaufen. [...]
Den ganzen Tag über nehme ich Spenden entgegen; nun hängt also alles von Euren Weisungen ab. Gestern erschien eine Lehrerin,brachte 10 Rubel und sagte: »Von meinen Kindern und mir« und brach in Tränen aus. Nur sehr schwer konnte ich sie beruhigen. Sie war wirklich nett und noch sehr jung. Sie bot an, über die Feiertage jemanden in den Garküchen abzulösen. Früher war sie Dorfschullehrerin und kennt die Bauersleute und das Dorfleben. Die Reaktion der Öffentlichkeit auf meinen Aufruf und die Bereitschaft zu spenden ist anrührend. Fast alle Frauen sagen: »Als ich Ihren Brief las, mußte ich weinen, möge Gott Ihnen helfen!«
Dein Bruder hat Deinen Artikel gelesen, Ljowotschka. Zuerst stöhnte er auf,
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