Eine Ehe in Briefen
in Liebe und Einmütigkeit zusammenzuleben und nicht in Disputen. [...] Die Stille an den Abenden hier ist mir nach der Arbeit am Tage, die mich müde macht – und ich werde nunmehr schnell müde –, sehr angenehm. Niemand, der Ablenkung, niemand, der Unruhe bringt. Ein Buch, Patience, Tee, Briefe, meine Gedanken über das, was gut und wichtig ist, über die bevorstehende lange Reise an jenen Ort, von dem niemand zurückkehrt. So ist es gut. Es ist nur schrecklich betrüblich, daß Du, Deinen Briefen nach zu urteilen, immer noch so traurig bist. Was nur kann Dir Ruhe geben, beglückende, zufriedene, dankbare Ruhe, wie ich sie gelegentlich empfinde? – Ich küsse Dich und die Kinder.
L.T.
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
[11. November 1892]
[Moskau]
Du bist immer noch erstaunt, lieber Ljowotschka, daß ich Dir bisweilen schwermütige Briefe schreibe. Ich bin doch nur Deiner und der Mädchen wegen schwermütig; mit Euch ist es mir leichter und heiterer. Wenn es mir, wie meiner Schwester Tanja, seit jungen Jahren, als ich mir dies mitunter so sehr wünschte, vergönnt gewesen wäre, am gesellschaftlichen Leben, an Empfängen und Spiel usw. Vergnügen zu finden, dann wäre ich nunmehr nicht traurig, sondern lebte auf diese Weise. Doch ich habe mein Herz an Dich und Jasnaja gehängt – und ohne Dich und Jasnaja ist es mir schwer. Hätte ich mehr Kraft und Energie und glaubte ich daran, daß es möglich sei, den Kindern auf dem Land eine gute Ausbildung angedeihen zu lassen – ich lebte nicht in Moskau. Doch da ich sie nicht auf dem Lande ganz allein unterrichten kann, muß ich sie Schulen besuchen lassen und bin daher gezwungen, in Moskau zu leben. Ich rechtfertige mich nicht, denn dieses Mal trage ich ganz und gar keine Schuld; ich bin überzeugt, daß ich nicht das Recht habe, anders zu handeln. Zugleich verstehe ich Dich in jeder Beziehung. Außer Ruhe und Abgeschiedenheit brauchst Du nichts mehr. Ein vor allem geistiges Leben, Übersättigung an allem, Ermüdung – dies alles ist in Deinem Alter ganz natürlich. Das einzige, was mir wehtut, ist, daß Du für uns – für mich und die Kinder – gar keine Liebe mehr empfindest. Daß Du nicht den Wunsch verspürst, mit uns zusammen zu sein. Dies tut sehr weh. Doch was kann man da tun.
[...] Warum sollen denn die Mädchen entscheiden, ob Du hierher kommst oder nicht? Mir bleibt also nur zu wünschen übrig, daß ich schwer erkranke – dies wäre dann ein Grund für Dich, Dich von Deinem ruhigen Leben dort zu trennen, und wenn ich sterben würde, dann wäre dies ein noch wichtigerer Grund, hierherzukommen. Doch auch dann brauchte ich es janicht mehr. Eine Krankenschwester und ein Beerdigungsinstitut würden dann notwendiger gebraucht. Versündige Dich also nicht, Ljowotschka. Und warte nicht auf einen wichtigen Grund, sondern handle, wie es Dir Dein Herz befiehlt. Wenn Du nicht hierherkommen möchtest, so bleibe dort; wenn Du uns nicht mehr liebst und ich Dir nicht leid tue – dann tue Dir keine Gewalt an. [...]
Heute habe ich die Bücher von Dickens und Baudelaire gekauft, allerdings nicht die »Fleurs du mal«, dieses Buch ist verboten, sondern ein anderes. »Fleurs du mal« habe ich bestellt, Gotje hat mir versprochen, es zu besorgen. Heute gehe ich mit Andrjuscha und Mischa ins Konzert, sie sollen ruhig einmal in den Genuß guter Musik kommen, sonst haben sie nur ihre Musikstunden und hören niemals etwas Schönes. Und sonst ist das Leben auch allzu langweilig, man muß sich irgendwie unterhalten. In den nächsten Tagen sehe ich mir auch »Kleopatra« mit Sarah Bernhardt 79 an.
[...]
Ich bin Dir sehr dankbar, daß Du mir so offen geschrieben und den Brief abgeschickt hast. Es ist immer besser, die ganze Wahrheit zu kennen. Verstehe meinen Brief nicht als Widerrede. Du wünschst, mit mir in Liebe und Einvernehmlichkeit zusammenzuleben. Und ich wünsche mir dies noch hundertmal mehr als Du. Doch wie soll dies aussehen, wenn man nicht zusammenlebt?
Ich küsse Mascha und Tanja. Hier sind alle wohlauf, nur Wanja ist schwach und blaß. Ich küsse Dich.
S.T.
[Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
[12. November 1892]
[Jasnaja Poljana]
Ich schreibe Dir, liebste Freundin, aus unserem Eßzimmer. Tanja und ich haben gerade Tee getrunken und Philipok 80 spannt die Pferde an. [...] Tanja hat ein wenig Zahnschmerzen (wie bei einem Geschwür), ich bin wohlauf, doch ich fühle mich sehr alt. Ich mache mir Sorgen um
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