Eine ehrbare Familie
Charles mit Kell zu Winston Churchill in die Admiralität befohlen. Churchill dankte ihnen herzlich. «Sie haben meine Frau aus einer großen Gefahr gerettet und ihr eine unerträgliche Demütigung erspart.» Die Augen des kleinen, dynamischen Mannes glitzerten. «Und dafür stehe ich ein Leben lang in Ihrer Schuld. Aber Sie haben auch Ihrem Land einen großen Dienst erwiesen, und dafür steht das Land in Ihrer Schuld. Da es sich um eine private Angelegenheit handelt, kann Ihnen leider keine öffentliche Anerkennung ausgesprochen werden. Aber ich werde mich dafür einsetzen, daß Sie, Railton, einen Orden bekommen.»
Außer einem halben Dutzend Angehöriger der Geheimpolizei und drei oder vier MO5-Mitgliedern wußte niemand von der Existenz von Hanna Haas, alias Madeline Letitia Drew.
Vernon Kell sah keinen Grund, warum er Charles die Betreuung der jungen Frau entziehen sollte. «Sie müssen Vater, Onkel, Bruder und Beichtvater für sie sein», sagte Kell, ohne die andere Beziehung zu erwähnen, die Charles’ Gewissen plagte.
Kell veranlaßte, daß sie in einem «Sicherheitshaus» untergebracht wurde, einer kleinen, freundlichen Villa in Maida Vale, die vom Geheimdienst gekauft worden war und ständig überwacht wurde.
Charles’ Instruktionen waren knapp und deutlich. «Sie ist eine wichtige und wertvolle Informationsquelle», hatte Kell gesagt. «Aber wir dürfen nicht vergessen, was immer sie auch jetzt sagt, daß sie freiwillig einen gefährlichen Auftrag für den deutschen Geheimdienst übernommen hat. Bis zu ihrer Verhaftung war sie durchaus bereit, diesen unerhörten Entführungsplan auszuführen. Seien Sie also auf der Hut. Miss Haas kann womöglich versuchen, Sie an der Nase herumzuführen, Ihnen das Blaue vom Himmel versprechen und dann plötzlich verschwinden oder für die Gegenseite arbeiten.»
Charles wurde angewiesen, möglichst viel Zeit mit Madeline zu verbringen. «Studieren Sie ihren Charakter, versuchen Sie, sie auf unsere Seite zu ziehen, aber entlassen Sie sie erst in diese böse Welt, wenn Sie ihrer absolut sicher sind. Machen Sie die Frau - nun wie soll ich mich ausdrücken - von sich abhängig.»
Kell war ein gläubiger Christ, und Charles wußte, daß sein Vorgesetzter nur eine seelische und ideologische Abhängigkeit im Sinn hatte. Obwohl ihm gewiß auch klar war, daß eine sexuelle Bindung zwischen Charles und Miss Haas sowohl beruflich wie auch privat von Vorteil sein könnte.
Während der ersten Tage in Maida Vale erforschte Charles den Familienhintergrund der jungen Frau. Er fragte sie über ihren deutschen Vater Frederick Haas und ihre tote Mutter aus. Er erkundigte sich, wie lange sie als Kindermädchen und Gouvernante in England gearbeitet hatte, nach ihrer Tante in Coventry und nach ihrem Onkel und ihrer Tante in London.
Ihre Angaben über ihre Verwandten wurden von der Geheimpolizei überprüft, besonders von Brian Wood und David Partridge, der inzwischen nach London versetzt worden war.
Vier Tage nachdem Charles sein Verhör begonnen hatte, erhielt er die Mitteilung, daß die Tante in Coventry, eine Miss Lottie Drew, und die zwei anderen Verwandten, George und Netta Turrill, alle drei ordentliche, loyale Bürger Englands waren. Sie hatten sich allerdings einer gewissen Zurückhaltung befleißigt, als die Sprache auf Miss Drew kam. Lottie Drew drückte die allgemeine Verlegenheit in folgenden Worten aus: «Die Mutter ist mit einem deutschen Kerl auf und davon und hat ein Kind von ihm gekriegt. Natürlich kann das Mädchen immer in mein Haus kommen, aber eine richtige Verwandte ist sie nicht.»
Das Haus in Maida Vale war hübsch, sauber und gemütlich. Die Haushälterin, halb als Wächterin, halb als Gesellschafterin engagiert, war Kell und der Geheimpolizei wohlbekannt. Madeline Drew wurde gut verpflegt und rücksichtsvoll behandelt. Charles hoffte, daß diese angenehme Umgebung ihm helfen würde, eine echte Beziehung zu Madeline herzustellen.
Am dritten Tag ihres Beisammenseins stellte Charles fest, daß sein sexuelles Verlangen erwidert wurde. Ihre schlanke Gestalt mit den straffen Brüsten erregte ihn, und ihre Bewegungen und Blicke sandten unmißverständliche Signale aus.
Er wählte an diesem Morgen seine Fragen besonders sorgsam aus. Die Stimmung war gelockert. Sie saßen in bequemen Sesseln in dem kleinen Wohnzimmer, dessen Fenster auf einen gepflegten Garten mit niedrigen Hecken, einem winzigen Rasenstück und Kletterrosen blickten.
Seine ersten zwei Fragen
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