Eine ehrbare Familie
Whitehall würde.»
Dick verzog den Mund. «Ich habe nie recht begriffen, was Giles Railton eigentlich im Foreign Office macht.»
«Da sind Sie nicht der einzige, mein Lieber. Kurz nach meiner Heirat habe ich John gefragt, was Giles tut. Vermutlich wird Sie die Antwort erstaunen, aber John hatte gelegentlich poetische Anwandlungen, er sagte: Dann zitierte er ein russisches Sprichwort: Der Mond scheint, aber wärmt nicht.» Sie lachte wieder freudlos. «Wäre ich eine echte Railton, hätte ich Ihnen das sicher nicht wiederholt. Onkel Giles ist der rätselhafteste Mann vom Mond, der einem geheimnisvollen Gewerbe nachgeht. Genug davon!»
Er zuckte die Achseln, als wolle er sagen, es genüge ihm nicht. Sara schmunzelte. «Eins werde ich noch hinzufügen. Ich traue Giles nicht über den Weg, weder was die Familie noch was sein Land, ja nicht einmal was ein Menschenleben anbetrifft.»
Dick wechselte schnell das Thema. «Und Andrew? Er hoffte doch, Kommandant eines Schiffs zu werden.»
«Das ist ihm nicht gelungen. Er ist angekettet an die Admiralität. Aber er scheint recht zufrieden zu sein. Das gleiche gilt für Charles. Aber auch er spricht nie über seine Arbeit. Eine verschwiegene Familie, meine Railtons.»
«Ja, meine Railtons», wiederholte er. «Sie sind eine der Ihren geworden. Sollten Sie je meine Frau werden, werde ich mir keine Illusionen machen über die Familie, in die ich einheirate.»
Indem er die Heirat wieder erwähnte, hatte Dick sein Versprechen gebrochen. Schweigen trennte sie plötzlich wie eine Mauer. Jeder hing seinen Gedanken nach.
Nach einer Weile schlug Sara vor, einen kurzen Spaziergang zu machen. Sie führte ihn zu ihrem Lieblingsplatz - dem Rosengarten.
«Können Sie es denn ertragen, jetzt noch hierherzukommen?» Er erinnerte sich an den schrecklichen, noch gar nicht lange zurückliegenden Tag, als John sterbend bei diesen Rosenbüschen lag.
«Ich komme oft hierher. Es ist ein Ort des Friedens.»
«Johns Frieden?» fragte er.
«Ich stelle mir gerne vor, daß er hier Frieden fand. Klingt das sentimental?»
«Vielleicht, wenn eine andere Frau es gesagt hätte.» Er drehte sich um und umarmte sie.
Sara erwiderte seine Umarmung trotz ihrer guten Vorsätze. Ihre Augen blieben offen, sie starrte in die Dunkelheit und auf das große Haus, das wie ein drohender Schatten im Mondlicht emporragte.
Dick sah es ebenfalls und fröstelte unwillkürlich, als er sich daran erinnerte, was Sara über Giles Railton gesagt hatte.
Der Kuß war gewollt leidenschaftslos, obwohl er lange dauerte. Sara ertappte sich dabei, ein Gebet zum Himmel zu schicken: Gott, laß Frieden kommen, verhindere das grausame Sterben auf den Schlachtfeldern.
Doch in ihrem Innersten wußte sie, daß ihr Gebet nicht erhört werden würde.
«Wenn diese verdammten Militärs doch nur zuhören würden», sagte Giles mißmutig. Er saß C an dessen mit Papieren übersäten Schreibtisch gegenüber. «Wir haben sie vor den Truppenzusammenziehungen gewarnt. Es war ein klassischer Angriff. Der Schlieffenplan mit einigen Abwandlungen von Moltke.»
Smith-Cumming grunzte. «Nicht Ihr Fehler. Wenn jemand schuld hat, dann die Franzosen und unser Generalstab. Man reagiert auf einen Angriffsplan nicht so, wie wir und die Franzosen es taten.»
Doch Giles hörte ihm nicht zu. «Wir haben sie im voraus gewarnt, ja, es ist uns sogar gelungen, diesen Idioten die Stärke der deutschen Truppen, die durch Belgien marschieren würden, anzugeben. Aber nein, sie haben uns erst geglaubt, als ihre Hauptkampflinie durchbrochen wurde. Wenn sie uns doch nur endlich glauben wollten.»
Der Chef des Geheimdienstes schnitt eine Grimasse. «Wir können nichts weiter tun, als sie weiterhin mit akkuraten Nachrichten versorgen. Vielleicht geht diesen vertrottelten Strategen eines Tages doch noch ein Licht auf. Unsere Arbeit hat nur dann einen Zweck, wenn die Militärs Nutzen aus ihr ziehen. Wir müssen -» Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn.
Es war ein Bote, der die jüngsten Depeschen aus dem Hauptquartier der britischen Streitkräfte brachte. Nach ihrer Lektüre sahen die beiden Männer noch besorgter aus.
Giles Railton bekam einen Wutanfall. «Nach all den Informationen, die wir ihnen gegeben haben, sind diese Narren dennoch in die Falle gegangen. Gott allein weiß, wie viele von
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