Eine eigene Frau
an.
»Ich will aber.«
»Na, na. Zieh sie jetzt aus! Für mich ist das auch kein Spaß. Ich muss noch die sieben Boleros und Westen machen.«
Sie ergreift die angespannten, zitternden Arme des Jungen und biegt sie mit Gewalt auseinander.
»Nun wein mal nicht! So ein großer Junge. Man muss brav und tüchtig sein, dann wird man was … Auch wenn dein Vater ein Spitzbube war, heißt das nicht, dass aus dir kein anständiger Mann werden kann. Der Tag wird kommen, an dem dein Vater an der himmlischen Pforte rüttelt. Und dann werden wir sehen. Durch diese Pforte geht man nicht mit ausgestrecktem Schwanz.«
Zum ersten Mal hört der Junge jemanden sagen, dass er irgendwo einen Vater hat. Als er noch bei Tante Korhonen in Pflege war, hatte er deren Kinder nachgeahmt und sie Mama genannt. Die Korhonen-Mädchen hatten ihn deswegen ausgelacht und gesagt, man dürfe nur seine eigene Mutter Mama nennen. Und Arvi sei ja als Baby von Onkel Malmberg zwischen Erdklumpen und Kohlblättern im Gewächshaus gefunden worden, das wüssten schließlich alle.
Arvi hatte angefangen zu weinen, und die Mädchen hatten Mitleid mit dem Jungen bekommen, der keine Mutter hatte. Deshalb durfte Arvi mitspielen, aber er musste das Kind im Spiel der Schwestern sein. Eines der Mädchen, Veera, war der Vater, und Arvi musste die Hose ausziehen, sich vor Veera hinknien, worauf er mit der Rute auf den blanken Po bekam. Und auch wenn das überhaupt nicht wehtat, fing er doch wieder an zu weinen, und die Mädchen hatten genug von ihm und dem ganzen Spiel.
»Wo ist er?«
»Wer?«
Tante Olgas Hand nimmt glänzende Knöpfe aus der Dose.
»Der Vater.«
Die Stirn der Tante legt sich in Falten.
»Keine Ahnung. Man weiß ja nicht einmal, wer der Hallodri ist. Wenn ich es wüsste, würde ich ihm eine verpassen. Da kannst du sicher sein. Wäre das ein passender Knopf?«
Eine goldgelbe, glänzende Halbkugel taucht vor Arvis Gesicht auf. Er spürt, wie sie sich aus Olgas Hand lösen will, wie sie in seinen Mund drängt. Er kneift die Lippen fest zu, beißt die Zähne zusammen, dass es knirscht, und begreift im selben Moment, dass sich der Knopf ebenso gut über die Nase oder ein Ohr seinen Weg bahnen kann. Er wird unweigerlich in Arvis Kopf eindringen, um darin anzuschwellen, wie die Erbse, die der Gartenhelfer beschrieben hat, sein Kopf wird in lauter Einzelteile zerspringen.
Mit einer Hand hält sich der Junge die Nase zu, mit der anderen das rechte Ohr, aber das linke bleibt ungeschützt. Unkontrolliert fuchtelt er mit dem Arm um den Kopf herum.
»Was ist denn mit dir los? Ist da eine Wespe …?«
Der Junge dreht sich zur Ecke und krümmt sich, er spürt die Übelkeit aus dem Magen aufsteigen. Schnell hält er sich den Mund zu, doch das nützt nichts mehr. Der Brei, den er am Morgen gegessen hat, schießt in einem dicken Strahl zwischen den Zähnen hervor, und einzelne graue Graupen fliegen bis auf die glänzenden Stoffballen, auf Seidenmusselin und rosenroten Tüll.
Sakari, 20
August 1903
Heiraten. Übermorgen schon. Und dann werden sie es bestimmt die ganze Nacht treiben.
Gut gelaunt schichtet Sakari die Dielen auf, bildet ein Karussell, sodass Luft an die Bretter kommt. Es ist schwül, die Luft steht, aus dem frischen Holz dringt harzige Wärme. Der Harzgeruch mischt sich mit dem Duft von frischem Heu und geräuchertem Fisch. Im Schatten der alten Stapel verkümmern die Gräser, erschöpft von der langen Trockenheit. Die Säge scheint wie im Schlaf zu laufen, gemächlich und gleichgültig, aber die Erwartung der künftigen legitimen ehelichen Freuden hält Sakari frisch. Er arbeitet für zwei.
Es versetzt ihm einen Stich, wenn er sich vorstellt, Seelia bis auf Unterhemd und Strumpfbänder auszuziehen. Er wird zu jeder Stunde der Nacht in die warme Umarmung seiner Frau sinken dürfen, ohne zu befürchten, dass es jemand sieht oder dass Seelias Ehrbarkeitsgefühl dazwischenkommt.
Seelia, verdammt!
Malt sie sich auch so ein hemmungsloses Liebesspiel aus, oder träumt sie nur von den Sahnekännchen und den roten Blumenmustern auf den Kaffeetassen, die ihr versprochen worden sind? Wo, zum Teufel, soll das Geld dafür herkommen?
»Kannst du mal ein bisschen aufpassen!«
Osku Venho steht hinter ihm und reibt sich die Hand, die von Sakaris Last beim Umdrehen am Rücken aufgeschürft worden ist.
»Ein paar Splitter fehlen mir gerade noch, wo ich mich sowieso schon fühle wie der Glockenturm von der Kirche in Hamina.«
»Aha. Kopfweh,
Weitere Kostenlose Bücher