Eine eigene Frau
wäre daran neu? Die Herrschaften machen das Sägewerk immer dann zu, wenn es ihnen gefällt. Da wird nie gefragt, was unsere Bäuche dazu sagen.«
»Darum soll man arbeiten, solange es Arbeit gibt.«
Sakari schüttelt den Kopf. Auch er weiß, dass die meisten von denen Scheißkerle sind, die ihre Hunde mehr in Ehren halten als ihre Arbeiter und mit einem reden wie mit Geistesschwachen. Aber Sakari genügt es, dass er selbst weiß, wo er steht. Und sich mit eigenen Händen verdient, was er isst.
Viki hat ihm den Rücken zugekehrt, er blickt in Richtung Kokkila, wo das Dampfschiff auf die Ankunft der Holzware wartet.
»Siehst du den Dampfer da?«
Vikis Stimme ist jetzt belegt. Das Schiff, das unter den dunklen Wolken hin und her schaukelt, ist nicht irgendein Fixpunkt, der für einen Themenwechsel herhalten muss.
»Schwer, ihn nicht zu sehen.«
»Und was glaubst du, wer an Bord ist, wenn er nach Liverpool ausläuft?«
»Du bestimmt nicht, verdammt noch mal!«
Sakari hat jetzt genug. Man kann den Kram hinwerfen, man kann von der Arbeit abhauen, man kann streiken und vom allgemeinen und einheitlichen Wahlrecht träumen, man kann sich auch über dieses und jenes lustig machen, aber man sollte dabei kapieren, dass auch die Fantasterei ihre Grenzen hat.
»Mit dem Obersteuermann ist alles ausgemacht. Und von England aus geht’s nach Amerika.«
Sakari verstummt angesichts der Entschiedenheit seines Bruders und wegen der Dreistigkeit, mit der dieser den letzten Lohnzettel zwischen den Fingern baumeln lässt. Es sind weitere dunkle Wolken aufgezogen, sie ballen sich vor der Sonne. Über dem Schiff flammt ein Blitz auf wie die Klaue eines Raubvogels, die aus den Wolken sticht.
»Es kam ein Piephahn um die Ecke und sagte, Guten Tag, Frau Schnecke …« – Das war Osku, der da in zu tiefer Tonlage zwischen den Bretterstapeln trällerte. Als er den Sortierer mitten am Tag auf dem Gelände stehen sieht, weit weg von den Flößergassen, bleibt er stehen.
»Was tust du hier, Viki?«
»Ich wollte meinem Bruder nur erzählen, dass ich vorhab, einen Abstecher nach Amerika zu machen.«
»Ach ja? Und was sagt dein Bruder dazu?«
»Nichts. Was soll er auch sagen?«
»So ist das, so ist das.«
Sakari hört sich die Plauderei an und traut seinen Ohren nicht. Als könnte Viki einfach so weggehen, seine Familie, sein Dorf und sein Heimatland verlassen und sich in fremde Länder davonmachen wie ein Zigeuner. So etwas tut man einfach nicht.
Na gut, irgendwelche Verrückten, Utopisten und andere Spinner, aber nicht sein Bruder Viki. Außerdem ist Sakari daran gewöhnt, wenn nötig immer seinen Bruder zur Seite zu haben. Die Söhne vom Salin – das ist im Dorf jedem ein Begriff. Unvorstellbar, dass Viki sich plötzlich irgendwo in Übersee herumtreibt, tausende Kilometer weit weg. Schließlich kann Sakari jederzeit etwas auf dem Herzen haben, das er seinem Bruder sofort mitteilen muss, oder es taucht eine Angelegenheit auf, die man nur gemeinsam erledigen kann.
»Tut mir leid, aber du gehst nirgendwo hin.«
»Doch, ich gehe.«
»Ich sag das nicht gern, aber es kann sein, dass du von mir Dresche kriegst.«
»Aha. Aber ich geh trotzdem.«
Sie sehen sich nicht an, sie werden nicht laut, sie ballen nicht die Fäuste. Wie oft schon sind sie aneinandergeraten, haben sich gegenseitig blaue Flecken verpasst, sich die Augenwinkel blutig geschlagen und die Hosen an den Knien zerrissen. Dennoch ist dieses Duell für Sakari ihr bislang härtestes Kräftemessen.
Wenn sich Viki Salin schon keinen Pfifferling um seine Mutter, seine Schwestern und seinen einzigen Bruder schert, was ist dann mit dem ganzen großen Gerede vom Klassenkampf, vom achtstündigen Arbeitstag und von der Volksversicherung, oder wie das, verdammt noch mal, heißt? So leicht wird alles aufgegeben, so leicht gibt man nach und rennt davon?
Viki sagt, er gehe dorthin, wo es bereits Recht gebe. Dort, wo der Arbeiter wie ein Mensch behandelt werde. Außerdem brauche Sakari gar nicht im Brustton der Überzeugung vom Klassenkampf reden. Schließlich sei er die ganze Zeit in diesen Dingen nichts als eine Schlafmütze gewesen, die sich mit ihrem Los abfindet. Hat man den Bruder denn je auf Versammlungen gesehen, bei denen Beschlüsse über gemeinsame Belange gefasst wurden? Ist er auch nur ein einziges Mal bereit gewesen, auch nur zu einem Missstand Stellung zu beziehen?
Sakari sagt, er kümmere sich um seine eigenen Angelegenheiten.
Ja, genau, besonders um Seelia hat
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